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Handwerker und Musikanten

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Kokle spielen ist kein neuer Trend - schon ungefähr 2000 Jahre wird dieses Instrument gespielt und zählt zur Familie der "Chordophone" - der Ton wird also durch eine schwingende Saite erzeugt. Die lettische Kokle ist verwandt mit der estnischen Kannel, der litauischen Kankle, und der finnischen Kantele (siehe Museumofworldmusic). Deutsche erinnert es meist auch an eine Zither, Russen bezeichnen die Kokle auch schon mal als "frühe Balaleika" (Vorläuferin?). Herleitungen des Wortes vom russischen "kolokol" (für Glocke) können aber wohl nur denen unterlaufen, die weder finnisch, estnisch, litauisch noch lettisch können; schließlich bedeutet "koks" auf Lettisch ganz einfach Baum, oder auch Holz. Dennoch interessant, dass sogar Balalaika-Fans dieses Instrument auf die Kokle zurückführen. Wer sich für die lettische Sichtweise interessiert, wird bei Valdis Muktupāvels nachlesen. "Die aktive Kokle-Szene ist größer als gedacht," bestätigt der Etnomusikologe, und nimmt auch noch eine andere Einteilung vor: "Es gibt die historischen Kokles, die Konzertkokle, und auch die elektrische Kokle". Oder, nach Saitenzahl eingeteilt: es geht von einer einfachen Kokle (mit 10 Saiten) bis zur Konzertkokle (mit 35 Saiten). Viele Klassifikationen von (Weltmusik-)instrumenten lassen sich finden, denen zufolge ein Land auch mit einem bestimmten Instrument identifiziert wird: im Falle von Lettland ist das die Kokle (siehe: "Lernhelfer").

Wer nun glaubt, Kokle spielen käme langsam irgendwie aus der Mode - denn auch die lettische Musikszene orientiert sich ja international - das Gegenteil scheint der Fall zu sein! Wie gesagt, aus Sicht der Kenner von Musikinstrumenten identifiziert sich Lettland sowieso genau über dieses Instrument. In einem Beitrag für die Zeitschrft "IR" (15.6.2016) beschreibt Andris Roze, wie eine Kokle sogar selbst hergestellt werden kann: "in den 1930iger Jahren wurde das jedem lettischen Pfadfinder empfohlen. Ich bin dazu gekommen, einfach weil mir vor 16 Jahren meine Tochter sagte, sie wolle Kokle spielen. Da sind wir zum Kokle.Meister Māris Jansons gegangen, der bei Cēsis wohnt, und haben es uns zeigen lassen. Seitdem baue ich selbst die Kokle." Während Ex-Meister Jansons inzwischen in Sibierien lebt, hat es Roze selbst übernommen, die Tradition weiterzugeben: im Rahmen von Workshops können Interessierte bei ihm lernen, sich selbst eine Kokle herzustellen. Und er weist darauf hin, dass er inzwischen nicht mehr allein ist: Ģirts Laube arbeitet in Druviena, Eduards Klints in Līgatne, Jānis Rozenbergs in Rīga, Gunārs Igaunis in Rēzekne.

"Pats savas kokles meistars", so ist hier die Devise ("Sei deiner eigenen Kokle Meister"). Nicht etwa Eichen-, Eschen- oder Ulmenholz kommt hier zum Einsatz, (zu hart!), sondern eher Fichte, Linde oder Espe. "Die Tonlage bei den Laubbaumhölzern ist weicher, samtener," meint Roze, "bei etwas festerem Holz wie Fichte oder Kiefer ist der Ton lauter, sehr klar, fast wie eine Glocke." Musikprofessor Valdis Muktupāvels kann auf einige Jahrzehnte Erfahrung mit lettischen Musiktraditionenen zurückblicken. "Auch bei uns war die Folklorebewegung schon in den 70iger, 80iger Jahren," sagt er. "1988 dann noch einmal, zum großen Festival 'Baltica'. Aber nach 1991 ging es schnell bergab. Das ist erst nach der Wirtschaftskrise, so um 2012, wiedergekommen in Lettland."

Früher war der Status der Volksmusikinstrumente erheblich eingeschränkt in Lettland, meint Muktupāvels. Experimentieren, ausprobieren, das ging nicht. Die Konzert-Kokles der Musikakademie gehörten zur Abteilung Volksmusik. Glücklicherweise sei diese Abteilung heute ganz aufgelöst. Die Kokle werde einfach zu den Saiteninstrumenten gezählt, so können auch die Komponisten heute aufatmen.In Finnland und Estland ist das schon längst so - Litauen werde auch noch folgen.

Auch im Internet gibt es verschiedene Kokle-Interessengruppen, allerdings fast alle nur in Lettisch. Nicht alle empfangen ihre interessierten Gäste so empathisch wie Rasa und Girts Laube: auf "Zelta spēles": "Wir machen Musikinstrumente, musizieren, und haben die Ehre unserem Volk die Kultur unserer Vorväter zu vermitteln. Wir empfinden das als übernationalen, kosmischen Schlüssel zum Wissen, um auf der Erde in Frieden, Freude und Glück zu sein."

Beim Folkmusiklabel "Lauska" ist auch noch das Buch zur Kokle zu haben: natürlich von Valdis Muktupāvels. Wer eine Konzertkokle sucht, zum Preis von mehreren Hundert Euro, wird vielleicht in der Werkstatt von Pēteris Putniņš fündig. Jēkabs Zariņš, genannt "piekūns" (Falke), hat auf seiner Webseite ebenfalls eine Reihe nützlicher Infos zur Kokle versammelt (auch in Englisch), dazu noch eine Liste von Adressen der lettischen Kokle-Meister, plus Tipps wie diese am besten zu kontaktieren sind. Nicht alle leben offenbar abgeschieden auf dem Lande, auch Facebook-Seiten oder Smartphones sind unter den Kokle-Spielern angekommen. Musikbeispiele finden sich auch auf Youtube oder Soundcloud,und auch einen Blog zum Koklespielen gibt es: "Kokles rullee!"

Unsichere Arbeitsplätze

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Wer in Lettland lebt, hat oft einen unsicheren Arbeitsplatz. Sogar anerkannte Flüchtlinge wandern u.a. deshalb wieder aus Lettland aus, weil es keine Chance gibt einen Arbeitsplatz zu bekommen (siehe auch: Spiegel, Merkur, lsm).

Also, es ist nicht einfach, in Lettland seinen Arbeitsplatz zu sichern. Eine neue Statistik von "Eurostat" ist arbeiten in Lettland zudem auch gefährlich: 4,5 tödliche Unfälle pro 100.000 Arbeiterinnen und Arbeitern wurden im Jahr 2014 verzeichnet. In Deutschland, wie auch in Schweden und Großbritannien war es nur ein Todesfall auf 100.000 ("IR", "NRA"). Zusammen mit Nachbarland Litauen (4,7 auf 100.000) liegt Lettland unter den EU-Mitgliedsstaaten, diese Statistik betreffend, auf Rang drei und vier.

2015 versuchte die zuständige Behörde für Arbeitssicherheit (Valsts darba inspekcija VDI) diesen Zustand durch vermehrte vorbeugende Kontrollen zu verbessern. Mithilfe von Informationsmaterialien und dem Motto "Strada vesels" (arbeite gesund) will man ferner eine erhöhte Aufmerksamkeit unter den Arbeitenden erreichen. Der Clou: mit Hilfe von Rechenbeispielen sollen die realen Folgekosten eines Arbeitsunfalls angeblich ausrechenbar sein. Ob's hilft? Die meisten Arbeitsunfälle geschehen in Lettland in der holzverarbeitenden Industrie, in der Bauwirtschaft und im Bereich Verkehr.

Lettisches Präsidentenmodel, in Grün

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Nun ja, vor wenigen Monaten noch mussten wir Sorge haben, dass der lettische Präsident Raimonds Vejonis sich gesundheitlich überlastet - er landete kurzfristig im Krankenhaus (siehe Blogbeitrag). Nun machte er durch ganz andere Dinge Schlagzeilen - von körperlichen Schwächen keine Rede mehr, im Gegenteil: zusammen mit seiner Frau wagte er sich auf den Laufsteg. Das präsidiale Paar stellte sich als Models für das italienische Modemaganzin ""Collezioni Haute Couture" und die Kreationen der lettischen Designerin Anna Omushkina zur Verfügung - unter der Überschrift: "Portraits von Träumern". Zumindest was die Reaktion in den Medien angeht, ein voller Erfolg.

Der Präsident habe sich wohl inspirieren lassen von seinem kürzlichen Zusammentreffen mit seinem italienischen Kollegen, schreibt lsm. Bisher habe Vejonis ja gerne damit gepunktet, der "normale Mensch aus Madona" zu sein, geerdet und eher zurückhaltend. "Jetzt kommt Vejonis zum einen als eine Art Riviera-Aristrokrat daher, dann wieder eher als Marcello-Mastroianni-Typ, dem nur noch der Sportwagen zum La Dolce Vita fehlt" (lsm).
Nein - nicht die neue
Stewardess bei
AIR BALTIC:
präsidiale Hutmode
Während diese Aussagen noch verhalten positiv ausfallen, gibt es auch Kritiker/innen: Ein Präsident als Model, dass entspricht nicht der Würde seines Amtes - meint Sozialwissenschaftlerin Skaidrīte Lasmane (Portal Delfi.lv). Unter den Leserreaktionen sind sogar solche wie diese: "So geht es eben, wenn man einen aus Latgale zum Präsidenten wählt" (lettisch "Čangalis" - womit oft auch ein "schlecht erzogener, benachteiligter Mensch" gemeint ist). Aber es gibt auch heftigen Widerspruch in der Netzgemeinde, so in der Art "was wollt ihr denn, er hat doch nicht für den Playboy posiert?" Oder auch weibliche Verdächtigungen: Diese Aktion habe sich bestimmt Vejonis' Frau Iveta ausgedacht. "Vielleicht will er auch einfach die 'yellow press' bei uns ein bischen füttern," meint Politologe Filips Rajevskis bei "bb-vesti.lv". Journalist Māris Zanders kommentiert für die "DIENA": "Das bloße Posieren kann man wohl nicht kritisieren - denn auch in der Politik ist das ja schon zur Gewohnheit geworden - die Leute schauen eben nur auf die 'Show', die Politiker machen, weil sie es inzwischen so gewohnt sind. Sollte es anders gemeint gewesen sein - wird es nicht beachtet."

Das Portal "Kas Jauns" zitiert Aija Strautmane, Ex-Konsulin und Dozentin für Etikette und Benimmregeln: "das ist ein Foto, wie es früher das Politbüro bestellt hat, um jemand einfach in der Öffentlichkeit vorzeigbar zu machen. Dabei weiss doch jeder: der Präsident und seine Frau sind eigentlich attrraktiv und sympatisch. Aber so - in dieser Form - sie sehen nicht gerade aus als ob sie Investoren ins Land holen könnten."

Dabei ist Vejonis nicht mal der erste lettische Politiker, der Omushkinas Kollektionen präsentiert: auch Rigas Vize-Bürgermeister Andris Ameriks brachte sie schon einmal mit neuem Outfit heraus.

Immerhin besteht Grund zu glauben, dass im Fall des Ehepaars Vejonis die "Models" mitbestimmt haben: der Hut von Frau Präsidentin wird auf Facebook als "Spezialanfertigung" ausgewiesen, auf Bestellung. Also: wer bei Familie Vejonis den Hut aufhat, ist schon mal klar. Man kann sich vielleicht die vorhergehende Diskussion vorstellen. "Raimonds, ich kaufe mit einen neuen Hut! - Na gut, Schatz, aber wenn, dann nur in Grün - schließlich bin ich in der Zaļa Partija!"

Vorläufig ist auch das lettische Büro zur Korruptionsbekämpfung (abgekürzt "KNAB") unerbittlich: es wurden Details zum Modeshooting beim Präsidenten angefordert (bnn); Pressemeldungen zufolge soll es vor allem um Fragen danach gehen, ob der Präsident in diesem Zusammenhang irgendwelche Geschenke angenommen hat. Eines ist sicher: das oben genannte Modejournal und auch die Designerin sind sicherlich zufrieden, auch mit der Wirkung in der Öffentlichkeit.

Lettlands Filmoffensive

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Ein Sommer - als sei es der letzte gewesen! Diesen Eindruck konnte gewinnen, wer in den vergangenen Wochen in Lettland unterwegs gewesen ist. Gleich mehrere Filmteams sorgten sich darum, die richtigen Szenen in den Kasten zu bekommen, alle vor allem mit dem einen Gedanken: 2018, zum 100sten Geburtstag der Republik, muss es fertig sein!

Schon seit 2014 dauern die Arbeit an "Der Ring des Namejs" ("Nameja gredzens"), einem Monumentalwerk rund um die Geschichte von Lettlands südlichem Landesteil, Zemgalen, im 13. Jahrhundert. Inzwischen ist man bei den Szenen angekommen, die in Lettlands Filmstädtchen "Cinevilla" gedreht werden können, dort, wo auch "Rīgas sārgi" (dt. "Die letzte Front"), "Baiga vasara" (dt. "der schreckliche Sommer") oder "Sapņu komanda" ("Dream team 1935") aufgenommen wurde - ein weiterer ist ebenfalls in Produktion: "My dear Muenchhausen", rund um das Leben des wahren Barons Münchhausen in Livland.
Die filmisch inszenierte Wikingerzeit wird dabei auch zur Eigenfinanzierung des Projektes genutzt: "sportliche Wettkämpfe in echter Mittelalteratmosphäre" wurden in Cinevilla angeboten, gerade in der Sommer- und Ferienzeit. "Werde zum Führer Deines Stammes" war hier der Werbeslogan. -
Derweil treffen Touristen sicherlich an vielen Stellen auf "Namejs Ringe" - seine Machart ist unverwechselbar, so wie es z.B. von "Baltu Rotas" angeboten wird. Die Macher des Films geben derweil zu, dass sie keine Geschichte der historischen Fakten erzählen werden - es werden vielmehr neue Legenden gestrickt (lsm). "Die wahren Begebenheiten sollten aber nicht so stark verdreht werden, dass das Resultat dann nur noch mit Ironie ertragen werden kann," hofft Historiker Ēriks Jēkabsons.

Der 20.August 2016 wird filmisch mit dem 23.August 1989 verbunden bleiben: 27 Jahre und einige Tage nach der historischen "Baltischen Kette" (auch "Baltischer Weg" genannt), damals aus Protest gegen die gewaltsame Einverleibung der baltischen Staaten durch die Sowjetunion in Folge des am 23.8.1939 zwischen Hitler und Stalin geschlossenen Freundschaftsabkommens. Diesmal hatte die Filmregisseurin Madara Dišlere eingeladen: selbstverständlich wurden hunderte von Statisten benötigt, um auf einer Landstraße nahe Cēsis die damaligen Ereignisse filmisch nachzustellen. "Paradies 89" ("Paradīze 89") wird dieser Film heißen, als Kinderfilm angelegt, basierend auf den Erinnerungen der Regisseurin selbst. Im Film ist es die neunjährige Paula und ihre Cousinen in den Hauptrollen.Am Ende wurde auch dieser 20.August zu einem heißen, sonnigen, aber anstrengenden Tag: mit 700 angereisten Statisten.

Szene aus "Vectēvs kas bīstamāks par computer"
Auch die Filmproduktion der Firma "Deviņi" hat sich ein großes Thema vorgenommen, und auch hier geht es um ein junges Mädchen: die Verfilmung des dreibändigen Werkes "Bille" von einer der bekanntesten Schriftstellerinnen Lettlands, Vizma Belševica. Die Idee dazu soll schon vor 10 Jahren entstanden sein, als Belševica noch lebte - gedreht wird heute am originalen Schauplatz in der Vārna iela in Riga, wo auch die kleine Vizma tatsächlich lebte. "Historische" Zeiten sind es hier in sofern - "Bille" erzählt vom Leben im Riga der sogenannten "Ulmaniszeit" (ab 1934 regierte Staatspräsident Kārlis Ulmanis autoritär, schaffte die Parteien ab, und scheiterte tragisch mit Beginn der sowjetischen Okkupation). Bille pendelt zwischen der Welt der Reichen und derjenigen der Armen. Die Regisseurin Ināra Kolmane erregte bereits mit "Ručs and Norie" Aufsehen, die Produktionsfirma "Deviņi besteht bereits seit 1991 und wurde von Kolmane gegründet. In der Titelrolle der "Bille" ist Rūta Kronberga zu sehen - ausgesucht aus mehreren Hundert Kandidatinnen.

Auch bei "Film Angels Productions", die sonst mit Werbefilmchen (auch für deutsche Kunden) ihr Geld verdienen, arbeitet man ebenfalls an der Verfilmung einer Literaturvorlage: "Homo Novus" von Anšlavs Eglītis erschien in schwierigen Zeiten: im Jahr 1944. Der Autor selbst floh in den Westen: zunächst nach Berlin, dann in die Schweiz, schließlich in die USA. Die Geschichte des Buches aber erzählt vom jungen Künstler Juris Upēnajs im Riga der 20iger und 30iger Jahre, als die lettische Hauptstadt noch Zentrum kreativer Kulturschaffender war. Ein Buch, das Riga als etwas wie das "Paris des Nordens" beschrieb - das künsterische Traumbild war Paris damals aus lettischer Sicht allemal - und die lettische aufstrebende Künstlerbohéme thematisierte (in deutscher Übersetzung 2006 im Weidle Verlag erschienen, leider vergriffen).

Zumindest einen witzigen Titel verspricht ein weiterer Kinderfilm: "Großvater gefährlicher als der Computer" ("Vectēvs, kas bīstamāks par datoru"). Auch hier ein Familienfilm, rund um den achtjährigen Oskar. Seine Eltern nehmen ihm den geliebten Computer weg, und schicken den Jungen zum Opa aufs Land - so heißt es im Plot zum Film. Wie das ausgeht, wird man im Film beobachten können. Auch dieser Film wurde im Sommer diesen Jahres gedreht, in der Gegend rund um Kuldiga.

Insgesamt sind es 16 Projekte (6 Spielfilme, 8 Dokumentarfilme und 2 Animationsfilme) unter dem Motto: "Latvijas filmas Latvijas simtgadei" (Lettische Filme für Lettlands 100-jähriges). Das Gesamtbudget soll bei 7,5 Millionen Euro liegen. Lettland setzt also 2018 vermehrt vor allem auf bewegte Bilder - mal sehen, wie viel davon auch international Beachtung findet.

"My dear Munchausen" (Regie Aigars Grauba, Platforma) - Trailer
"Nameja gredzens" (Regie Aigars Grauba, NKC, Facebookseite) - Making-off-Trailer
"Paradīze 89" (Regie: Madara Dišlere, Tasse-Film - Facebookseite) -  Trailer
"Bille" (Regie: Ināra Kolmane, Devini-Film) - Trailer - Facebookseite
"Homo Novuss" (Regie: Anna Viduleja, "Film Angels Productions") - Trailer
"Vectēvs, kas bīstamāks par datoru" (Regie: Varis Brasla, F.O.R.M.A. Studio), - Facebookseite - Trailer

Gesamtauflistung aller Filmprojekte in diesem Rahmen: PDF-Datei

Lettische Arbeit, schwedische Dividende

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Wenn Lettinnen und Letten "lettisch" kaufen möchten - ausgenommen das, was direkt bei den Bauern oder auf Märkten bezogen werden kann - dann heißt es zumeist: gehen wir zu RIMI! Denn jeder weiss schließlich, dass die Supermarktkette MAXIMA litauische Eigentümer hat - erkenntlich auch am Warenangebot. Nun steht hinter der RIMI-Kette allerdings der schwedische ICA-Konzern, und der scheint in Lettland, einem der Länder mit den durchschnittlich ärmsten Menschen in Europa, gute Geschäfte zu machen: in den vergangenen drei Jahren allein 63 Millionen Euro, 55 Millionen Euro wurden den Eigentümern als Dividende ausgezahlt.

Der Erfolg von RIMI hat mehrere Gründe: saubere und frisch renovierte Läden, produktivere Arbeitsprozesse, und billige Arbeitskräfte - so beschreiben es Inga Spriņģe und Sanita Jemberga vom "Zentrum für investigativen Journalismus RE:Baltica" ("IR"/ TVNet). In Schweden bekommen Kassiererinnen und Kassierer dreimal so hohen Lohn wie in Lettland (nach lettischem Preisniveau berechnet), in Estland liegt das Lohnniveau noch um 100 Euro monatlich höher. Der härteste Konkurrent in Lettland, MAXIMA, zahlt allerdings seinen Angestellten in etwa dasselbe. Gibt es da Absprachen?

Verglichen mit dem, was ansonsten an Arbeitsplätzen in Lettland zu finden ist, scheint es bei RIMI noch ganz gut auszusehen: Lohn wird nicht heimlich "im Umschlag", sondern ganz legal versteuert auf Konto überwiesen. Es gibt Aufstiegsmöglichkeiten, Krankenversicherung, Weiterbildung. In den Firmen des lettischen Verbands für Lebensmittelhandel (Latvijas Pārtikas tirgotāju asociācijā), zu dem neben RIMI und MAXIMA noch NARVESEN gehört, wird zu 19% Mindestlohn gezahlt - in anderen Läden sind es 33%. Journalistin Spriņģe verweist auf eine Untersuchung der lettischen Hochschule für Wirtschaft, der zufolge gerade in den kleinen Läden der größte Anteil an "Schattenwirtschaft" (Schwarzarbeit) zu finden ist, an der Spitze liege hier das Bauwesen. RIMI war 2015 mit 5731 Angestellten der drittgrößte Arbeitsgeber in Lettland, nach der lettischen Eisenbahn mit 7173 und MAXIMA mit 9150 Mitarbeitern (db). Aber ihr Lohnniveau macht nur  67% des statistischen mittleren Lohnes in Lettland aus: 2015 lag dieses Mittel bei 550 Euro brutto; Supermarktkassierer bekammen im Schnitt nur 470 Euro.

Nun ja, die Gewerkschaften gelten in Lettland als eher schwach. Und in Estland ist das Lohnniveau beim Schwesterunternehmen vielleicht deshalb höher, weil auch gering Qualifizierte leicht nach Finnland abwandern können.
Auch eine Erhöhung des Mindestlohnniveaus wird momentan diskutiert; nach gegenwärtig gültigen Regelungen würde der Mindestlohn 2018 dann in Estland 470 Euro betragen (in Litauen und Lettland etwa 380 Euro - niedriger ist der Mindestlohn in der EU nur in Bulgarien, Rumänien und Ungarn). Zudem liegen die Steuerabgaben in Lettland mit 40% des Lohnes sogar noch höher als in Estland, wo es nur 34% sind. RIMI begründet die Zurückhaltung gegenüber Lohnerhöhungen momentan mit dem bevorstehenden Bau eines großen Logistikzentrums in Riga, und Investitionen in Höhe von 75 Millionen Euro ("IR"). Zudem ist die Grenze für steuerfreien Mindestverdienst in Estland höher als in Lettland (170 Euro gegenüber nur 100 Euro in Lettland). Erst 2020 wird dieses steuerfreie Minimum auch in Lettland bis 160 Euro steigen.

RIMI verweist unter anderem auf eine Auszeichnung aus dem Jahr 2015 als "bester Arbeitgeber Lettlands". Der Preis wird allerdings nicht etwa von den Gewerkschaften, sondern vom Arbeitgeberverband (Latvijas Darba devēju konfederācija LDDK) verliehen, Antragsteller müssen lediglich einen Katalog von 15 Fragen beantworten - eine Frage zum Lohnniveau ist nicht dabei. Die LDDK hat sich mehrfach gegen eine Erhöhung des Mindestlohnniveaus in Lettland ausgesprochen - ebenso das lettische Finanzministerium und die lettische Zentralbank. Eines der Gegenargumente ist auch die Rechnung, dass bei einer Erhöhung des lettischen Mindestlohns auf - beispielsweise - 410 Euro schon 70% aller Arbeitnehmer/innen in Latgale nur den Mindestlohn verdienen würden (und auch überall sonst, außer in Riga und Umgebung, wären es über 50%). Natürlich könnten die Argumente hinzugefügt werden, die auch in Deutschland von Arbeitgeberseite gewöhnlich oft benutzt werden - aber was hilft das alles, wenn ein Arbeitslohn kein normales Auskommen bietet? Die Lebensmittelkette RIMI ist dafür nur ein Beispiel. Welche Kosten jeder Konsument in Lettland zu bestreiten hat - und wie wenig sich das Preisniveau von dem in wohlhabenderen EU-Ländern unterscheidet - auch das lässt sich allerdings leicht ebenfalls den buntenRIMI-Katalogen entnehmen.

Der Berg ist unser!

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Was werden Besucherinnen
und Besucher in ein paar
Jahren auf Lettlands höchstem
Berg erblicken können?
Dies ...
Hat Lettland Berge? Nun ja, die Besucher sollten sich nicht durch Bezeichnungen wie "Livländische Schweiz" oder "Kurländische Schweiz" täuschen lassen - allenfalls Radreisende sind gelegentlich erstaunt von den "Unebenheiten" bei ihren Touren - aber auf diesem einen Berg, dem "Gaiziņkalns" war angeblich jeder einzelne Lette und jede Lettin mindestens einmal im Leben.

Doch dieses "Dach Lettlands", im östlichen Teil des Landes gelegen, ist heute nur noch als teilweise bewaldete Kuppe zu erkennen - wer die schmalen Feldwege hier herauf überhaupt findet; nur ein kleines Schild erinnert daran, dass die Besucher sich hier auf 311,6m über Meereshöhe befinden.

Eines ist jedoch jetzt neu, und nach jahrelangen Diskussionen frisch beschlossen: "es ist nun sichergestellt, dass der höchste Berg Lettlands wieder zu Allgemeinbesitz wird", verkündeten vor kurzem Inese Apele als Vertreterin der Eigentümergemeinschaft und Kaspars Gerhards, lettischer Minister für Umwelt und regionale Angelegenheiten. Die Spitze des "Gaiziņš" soll nun "im Besitz des Volkes" - also Staatseigentum werden, das legt ein Vertrag fest. Und auch ein neuer Aussichtsturm soll wieder gebaut werden - "ein Turm nicht wie in Saudi Arabien, sondern nach lettischer Eigenart", so Ex-Eigentümerin Apele (Latvijas Avize), die das 9,3ha große Gelände unbedingt dem Staat, nicht aber der Gemeinde überlassen wollte.

.... oder eher dies?
1982 - noch zu Sowjetzeiten - war zuletzt der Bau eines Aussichtsturms begonnen worden. Dieses Projekt wurde aber nicht beendet - so dass Wind und Regen, Frost und Schnee daran nagten. Schließlich wurde am 14.Dezember 2012 der unsicher gewordene Turm gesprengt (siehe Video) - ein neuer Turm konnte, entgegen aller Hoffnung, noch nicht errichtet werden. Alles hing daran, dass das Gelände um die Bergkuppe des Gaiziņkalns sich in Privatbesitz befand. 40m hoch war der bisherige Aussichtsturm - nun fehlt der Rundblick über die Umgebung.

Die örtliche Bauverwaltung hatte lange ihre Zustimmung verweigert, das insgesamt 44ha große Gelände aufzuteilen - falls es weniger als 10ha groß und für eine Bebauung vorgesehen sei, so sei dies gemäß der Bestimmungen der Gemeinde nicht zulässig - auf dieser Formalie bestand die Behörde lange. Kompliziert war auch, dass es insgesamt fünf Eigentümer gab - wovon keiner das Gelände selbst nutzt, sondern weiterverpachtete. Das Eigentum war nach Wiedererlangung der lettischen Unabhängigkeit den Nachkommen der lettischen Eigentümer zurückerstattet worden - die allesamt allerdings nicht in Lettland leben.

... oder vielleicht sogar
dieses Modell hier?
Um irgendwie auf den höchsten Punkt zu erreichen, seien Fahrzeuge auch schon vielfach quer über Wiesen und Felder gefahren, um ihr Ziel zu erreichen. Daher war auch ein Autoparkplatz mitten auf der Bergspitze schon in der Diskussion, mindestens ein Wendeplatz - eine Idee, die nicht von allen geteilt wird, befindet sich das Gebiet doch innerhalb es von der EU besonders geschützten Areals ("Natura 2000").
Durch die Einigung zwischen Behörden und Privateigentümern können nun konkrete Planungen zur Neugestaltung des Geländes beginnen. Auch die Tourismusämter hoffen auf attraktivere Vermarktungsmöglichkeiten.

Angeblich soll vertraglich auch festgelegt sein, dass der Staat sein geschenktes neues Eigentum hier nicht erneut privatisieren darf - was finanziell verlockend wäre, denn Investoren sollen schon mehrere Millionen Euro geboten haben, um auf Lettlands höchstem Berg aktiv werden zu können.

Dann kannste über Skanste zum Friedhof

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Mit Planungen zum Öffentlichen Nahverkehr in Riga müssen Bürgermeister vorsichtig sein - davon konnte schon Alfreds Rubiks erzählen, Rigas Bürgermeister von 1984 bis 1990. Rubiks plante Riga mit einem Netz von U-Bahnen auszustatten - was eine riesige Protestbewegung dagegen auf den Plan rief, trotz Schikanen und Einschränkungen des damaligen Sowjetsystems. Denkmalschützer sahen schon die Mauern Alt-Rigas einstürzen, falls eine Untergrundbahn gebaut werde, die lettische Umweltschutzbewegung feierte damals Höhepunkt auf Höhepunkt: die Sowjetfunktionäre mussten aufgeben oder wurden abgesetzt, Lettland erkämpfte seine Unabhängigkeit.

Solche Zeiten möchten einige der wenigen heute noch verbliebenen Umweltaktivisten gerne wieder aufleben lassen. Und auch heute ist wieder ein Thema des öffentlichen Nahverkehrs gefunden: die Planungen der Stadt zu einer neuen Straßenbahnlinie. Das Projekt wiederspreche "den ethischen Normen, so wie sie die Letten verstehen", meint Elita Kalniņa, Vizepräsidentin des "Vides Aizsardzības kluba VAK" (Umweltschutzklub), eine Aktivistin auch noch aus Rubiks Tagen.

Am 11.Oktober beschloss eine Mehrheit im Rigaer Stadtrat mit einer Mehrheit von 34 gegen 15 Stimmen ein Projektvorhaben zur Schaffung einer neuen Straßenbahnlinie, nach dem zu durchquerenden Ortsteil "Skanstes Linie" genannt (lsm) - dem ersten Erweiterungsvorhaben für die Straßenbahn seit 1984. Durchführen soll das Projekt "Rīgas satiksme”, das städtische Verkehrsunternehmen. Für die 3,6km langen Strecke, die zu bauen etwa 100 Millionen Euro kosten soll, sollen auch 12 neue Niederflurstraßenbahnen angeschafft werden. Einziges Manko: es fehlt bisher die detaillierte Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger, also der Öffentlichkeit. Und: notwendig wird auch eine Verbreiterung der Senču iela um etwa 10 Meter. Symbolischer könnte der Name dieser Straße kaum sein: die "Straße der Vorfahren" führt nämlich durch das Areal des "Großen Friedhofs", der Hauptumstand, der Gegner auf den Plan ruft.

Schnell hatten sich im Internet die "Lielo-Kapi-draugi" (Freunde des Großen Friedhofs) zusammengeschlossen (Facebook), ein Protestschreiben an Regierung und Präsident wurden aufgesetzt, auf dem Abstimmungsportal "Mana Balss" (Meine Stimme) fand dieser Brief über 1600 Unterstützer gegen die "Friedhofs-Straßenbahn". Die Gegner zweifeln dabei die Behauptung der Planer an, die Totenruhe keines einzigen Grabes stören zu wollen, und bezeichnen das Gebiet als Ort an dem "viele Helden und große Geister Lettlands" beerdigt seien - also richte sich das Projekt gegen "Lettlands Identität und Geschichte". Am beeindruckendsten aber ist die Unterstützerliste der Gegner: Dainis Īvāns, Ex-Volksfront-Aktivist und Leitfigur der Unabhängigkeitsbewegung, Valters Nollendorfs, Leiter des Lettischen Okkupationsmuseums, weiterhin zahlreiche Schriftsteller, Journalisten, und Denkmalschützer; stolz wird auch die Unterschrift von Werner von Sengbusch vermeldet, als "Ur-Ur-Ur-Enkel eines Rigaer Bürgermeisters" gefeiert. Ja, neue "Atmoda-Identität", danach sehnen sich offenbar viele.

Allerdings muss wohl gesagt werden, dass 1600 Protestunterschriften noch nicht besonders viel sind: auf "Mana balss" bekamen andere Initiativen, wie etwa für kostenloses Mittagessen in Kindergärten, für steuerfreie Renten, die Direktwahl des Präsidenten, oder häufigere technische Überprüfungen bei PKWs jeweils mehr als das sechsfache davon.

Und auch die Straßenbahn-Ausbaufans machen mobil. Der Ortsteil Skanste bekam gleich so etwas wie eine neue "korporative Identität" verpasst: neues Logo, schicke neue Webseite.
Mit eigenen Karten und Zeichnungen versucht man aufzuzeigen, wie wenig die Straßenbahn die lettischen Helden stören wird: George Armitstead, auch ein früherer Bürgermeister, "liegt" noch am nächsten dran: 36,5 Meter. Zu den Gedenkstätten von Krišjānis Valdemārs und Krišjānis Barons seien es aber mehr als 400 Meter Entfernung (siehe Riga.lv). Die Proteste bezeichnen die Befürworter als "lettischen Halloween-Spuk". Bereits 2012 seien die Planungen für das Projekt angelaufen, mit öffentlichen Anhörungen 2013, im Rahmen der Entwicklung der nachhaltigen Strategie "Riga2030". 574 Eingaben habe es damals gegeben, 277 davon seien in die endgültige Planversion aufgenommen worden. 

Doch die Diskussion ist noch nicht zu Ende, ob es nun einer weiteren umfangreichen Beteiligung der Öffentlichkeit bedarf oder nicht. Politiker/innen wie Europa-Parlamentarierin Sandra Kalniete versuchen sich inzwischen an die Sache dranzuhängen, um sich auf jeden Fall als "auf der richtigen Seite stehend" vorzuzeigen. Rigas Ratsmehrheit möchte sich 70 Millionen Euro finanzielle Unterstützung aus EU-Fördertöpfen sichern, und die gäbe es angeblich nur, wenn es zügig umgesetzt wird. Nationalkonservative Politiker, wie der Staatssekretär im Umweltministerium Jānis Eglīts fordern ein öffentliches Anhörungsverfahren in dieser Sache. Dem wiederspricht Emīls Jakrins, Vorsitzender des Verkehrsdezernats der Stadt: ein Planungsverfahren für den Stadtteil habe es ja bereits gegeben, und nur für die folgenden Einzelmaßnahmen sei das nicht erneut nötig (lsm).

Weht nun auch in Riga - neben dem heftigen Schneefall, der inzwischen niederging - auch der leichte Hauch des postfaktischen Zeitalters? Manche mögen es so sehen. Für andere ist es nur einer von vielen Versuchen, dem russischstämmigen Bürgermeister und den ihn stützende Parteien - die im lettischen Parlament Teil der Opposition sind - endlich und endgültig eine schlechte Amtsführung nachweisen zu können: für den 3.Juni 2017 sind die nächsten Stadtratswahlen angesagt.

Was blieb von den Städtepartnerschaften?

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ein Foto aus dem Jahr 2006
Bis noch vor 10 Jahren standen sie in der Altstadt sehr privilegiert - in Sichtweise des Domes. Allerdings optisch ein wenig schwerfällig, offensichtlich aus schwerem Metall gefertigt, die Beschriftung schlecht erkennbar. Wer sich bemühte, den Sinn des hier wie dunkle Wegweiser ins Ungewisse wirkenden Schilder zu entziffern, sah einige von Rigas Städtepartnerschaften hier öffentlich präsentiert. Vielleicht aber wirkte das klobige Monument auch eher wie eine Art Gedenkstätte - im Gegensatz dazu sind die Partnerschaften in den letzten zwei Jahrzehnten aber geradezu explodiert: inzwischen zählt Riga ganze 29 Städte auf allen fünf Kontinenten zu befreundeten Partnern.

Mit der Umgestaltung des Platzes, wo heute zahlreiche Sitzgelegenheiten den Genuß lauer Sommerabende im Freien ermöglichen, wurden auch die Schilder komplett abgeräumt (eingeschmolzen?). Aber eine Übersicht zur Zusammenarbeit Rigas mit ihren "Schwestern" ist nur schwer zu bekommen. So versucht es nun das Infoportal der Stadt im Internet mal mit den "Spuren", welche Städtepartner im Stadtbild Rigas hinterlassen haben. Der Begriff "Freundschaftsstadt" sei direkt nach dem 2.Weltkrieg entstanden, wird dort (in lettischer und russischer Sprachversion) erläutert; Idee sei der Erhalt des Friedens in der Welt gewesen. Zu ersten "Freundschaftsstädten" Rigas wurden in den 1960iger Jahren Rostock in der DDR und Pori in Finnland. Ohne Quellenangabe dann dort ein Zitat: "Mit den Städten ist es wie mit den Menschen - für jeden ist ein eigener Zugang nötig. Mit Erevan befreundete sich Riga sehr schnell, mit Kobe dauerte es mehrere Jahre." (Riga.lv)

Dann wird die Abteilung "gegenseitige Geschenke" beschrieben. "Die Rigaer Delegationen beschenken die Partner in der Regel mit Bilderalben oder traditionellen Souvenirs. Manchmal werden aber auch eindrucksvollere Geschenke hinterlassen", weiß das Portal. 1996 sei aus Kobe in Japan gleich ein ganzer Elefant in Riga angekommen; das sei kurz nach einem Erdbeben in Japan gewesen, bei dem 6000 Menschen ihr Leben verloren haben - der Elefant ein Symbol der Freundschaft. In Bremen-Mahndorf dagegen stehe ein Denkmal des "Sprīdītis", einer lettischen Märchenfigur, die der Bildhauer Bruno Strautiņš geschaffen habe, und manche Moskowiter verbringen heute noch ihre Zeit im "Rigaer Park", der sich in der Nähe des Stadtzentrums befinde.

bei Spaziergängen im
Stadtzentrum Rigas
kann man auch auf
Spurensuche zu
Rigas Partnerstädten
gehen: hier ein
Geschenk aus
Taschkent
Unübersehbar im Stadtzentrum Rigas auch die spitz zulaufende silberne Uhr nahe der Kunstakademie, die lettische und japanische Zeit anzeigt. Im Kronvalda Park steht ein traditioneller hölzerner Bogen aus Suzhouin China, und unübersehbar für alle Gäste der Stadt ist auch das Denkmal der Bremer Stadtmusikanten direkt neben der Petrikirche, von dem es heißt, man müsse den Tieren an die Nase fassen, um dass sich geheime Wünsche erfüllen.
Eher unscheinbar erscheinen da auf den ersten Blick die Sitzbänke, die ebenfalls in einem Park in Altstadtnähe zur Benutzung freistehen - ein Geschenk aus Armenien. Nahe der lettischen Seefahrtsakademie dann das Denkmal von Ulug Bek, dem Astronom, Mathematiker und Sultan aus Taschkent. Auch das Denkmal von Alexander Puschkin ist im Kronvalda Park zu finden, ein Geschenk aus Moskau. Nicht alle "Partnerschaftsgeschenke" sind so monumental. Eine wertvolle traditionelle Gesichtsmaske aus Kobe wird sorgsam in der Nationalbibliothek aufbewahrt.

Bei einem Rundgang durch Riga sind vielleicht noch mehr Spuren von Rigas vielfältigen internationalen Städtepartnern zu finden - allerdings muss die Frage auch erlaubt sein, ob 29 verschiedene "Städteschwestern" nicht auch zu ein wenig Irritation führen kann, ähnlich dem Effekt der langen Listen von "Facebook-Freunden", wo nur noch eine möglichst hohe Zahl Eindruck macht, aber in den meisten Fällen keine persönlichen Treffen mehr stattfinden. Da helfen oft auch keine Billigflieger: Kontakte knüpfen ist leichter geworden, aber was geht eigentlich noch über Stehempfänge und gegenseitige Kurzbesuche hinaus? Wie wäre es, wenn alle Bürgerinnen und alle Bürger der betroffenen Städte jederzeit gemeinsam Projekte entwickeln könnten, und dabei Unterstützung bekämen?

Die einen erhoffen sich in erster Linie gute Geschäfte (also Business, möglichst mit finanziellen Vorteilen) - so wie die kürzliche Rigaer Konferenz mit 45 Unternehmern aus Chile. Andere nutzen gemeinsam vielleicht besseren Zugang zu den Fördertöpfen der Europäischen Union. Wieder andere, besonders ehrenamtlich Aktive in Sport- und Kulturvereinen, erhoffen sich Austauschmöglichkeiten, Gastauftritte und Teilnahmemöglichkeiten bei Wettbewerben. In Zeiten sozialer Not sind Hilfslieferungen und Spendenaktionen auch zwischen Partnerstädten geübte Praxis. Innerhalb der EU sind wenigstens die Studienmöglichkeiten heute ja bereits geregelt - und bedürfen keinen besonderen Städtebeziehungen mehr (bis auf Ausnahmen besonderer Forschungsprojekte). Und aus Rigaer Sicht muss bei manchen vielleicht immer noch daran erinnert werden, dass die Zeit sozialistisch-sowjetischer Parolen wirklich vorbei ist, und auch Städtepartnerschaften heute eine Sache aktiver Bürgerinitiativen sein kann - und nicht nur für "Funktionäre" da ist.

Zur Zukunft und zu Perspektiven von Rigas vielen Städtepartnerschaften sagt das stadteigene Internetportalübrigens nichts -  entweder man hält wohl den Nutzen für selbstverständlich, vielleicht hat man auch längst interne Prioritäten innerhalb der Partnerschaften entwickelt und sagt davon nichts. Solange sie existieren, kann aber wohl nur zu verstärkter Nutzung dieser "Beziehungsdrähte" aufgerufen werden.

Rigas Städtepartner:

in Deutschland: Rostock (seit 1974, 1991 erneuert), Bremen (seit 1985, 1992 erneuert)
in Europa: Amsterdam (seit 2003, seit 2011 vertraglich), Bordeaux (seit 1993), Florenz (seit 2004), Norköping (seit 1988, erneuert 2014), Aalborg (seit 1990), Pori (seit 1946, 2011 erneuert), Stockholm (seit 1998), Tallinn (seit 2005), Tartu (seit 2005), Vilnius (seit 2005), Warschau (seit 2002).
im östlichen Europa und Asien: Almaty (seit 1998), Astana (seit 1998, bekräftigt 2006), Jerevan/Erivan (seit 2013), Kiew (seit 1998), Kobe (seit 1974, erneuert 1991), Moskau (seit 2001), Minsk (seit 1999), Peking (seit 2004), St.Petersburg (seit 1997, erneuert 2006), Suzhou (seit 1997, bekräftigt 2003), Taipeh (seit 2001), Taschkent (seit 2004), Tblissi (seit 2007)
in Nord- und Südamerika: Dallas (seit 1990), Santiago de Chile (seit 1997)
in Australien: Cairns (seit 1990, bekräftigt 2013)

Kuh aus der Kindheit

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Vor 11 Jahren stand die Herstellerfabrik im lettischen Skrīveri (Skrīveru Pārtikas kombināts - SPK) kurz vor der Pleite - es wäre das Ende vieler Kindheitserinnerungen gewesen. Zugegeben, modern gestylten Bonbons kleben nicht mehr im Mund, sind vielleicht nach Geschmack und Farbe optimiert. Aber die einfachen "Gotiņa's" (kleinen Kühe) waren einfach schon Jahrzehnte auf dem Markt - seit 1959 - in Notzeiten ebenso wie bei Familienfeiern, und als Probierportion für alle Gäste (besonders die aus dem Ausland). "Gotiņa's" aus Lettland wurden ab 1960 in die ganze Sowjetunion geliefert, in Blütezeiten mit bis zu 30 verschiedenen Fabrikationsstätten in ganz Lettland und 6000 Tonnen Exportwaren pro Jahr in die Sowjetstaaten.

Wo die Bonbonmasse noch mit Liebe gefaltet wurde:
ehemalige Līzuma Konfekt-Fabrik - gemeinsam
am runden Tisch
Seit der Beinahe-Pleite 2005 arbeitet "Skrīveru saldumi" nun mit neuem Konzept - und hat bisher überlebt. 2007 begann man auch Glasuren einzusetzen - eine Variante, für die nicht die teure Kakaobutter benötigt wurde. Zum Einsatz kam das zum Beispiel bei der Herstellung von Marzipanherzchen. Zur Einrichtung neuer Produktionsstätten im Stadtzentrum von Skrīveri, im Gebäude einer ehemaligen Molkerei und eines Käsewerks, mussten die Firmeninhaber Kredite aufnehmen, die noch heute abbezahlt werden müssen.

"Jeder Mitarbeiter verarbeitet, wenn er gut trainiert ist, bis zu 100kg der süßen Masse pro Tag," erzählt Dace Vītoliņa, eine der Filialleiterinnen bei "Skrīveru saldumi", in einem Interview für die Zeitschrift "IR". "Das ist körperlich anstrengende, aber auch physisch anspruchsvolle Arbeit, wir haben sogar Schwierigkeiten, hier die ausreichende Anzahl Mitarbeiter zu finden."
Es gibt neun Grundsorten der 'Gotiņas', aber zu Feiertagen und besonderen Anlässen werden auch neue Sorten angeboten. Heute arbeitet die Firma sogar mit ökologischen Zertifikaten: drei Sorten sind ganz aus Naturstoffen hergestellt, darunter die Sorten 'Walnuß' und 'Heidelbeere'. Gotiņa-Fans wie die Bloggerin Santa Ulnicāne wissen natürlich noch viel mehr Sorten aufzuzählen: mit Aprikosen, Pfefferminz, Sesam, Haselnuß, Kaffeegeschmack, mit Sonnenblumenkernen, oder sogar Zichorienwurzel (Wegwarte). Keine künstlichen Farb- oder Zusatzstoffe, ohne Konservierungsstoffe, Grundstoff: Milch aus Lettland - damit wirbt die Firma heute gern.

Nur wenige erinnern sich jedoch noch an den kleinen Ort Līzums, im Bezirk Gulbene weit im Nordosten Lettlands, wo die Produktion der "Kühchen" einst begann; ein Örtchen mit gerade mal 1400 Einwohnern. Hier kam die Milch der "lettischen Braunen" her, um in den 50iger Jahren dieses Produkt zu entwickeln.

"Auch heute noch bauen wir auf die spezielle Erfahrung unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen," berichtet Vorstandsmitglied und Miteigentümerin Iveta Audziša (e-Druva), die zusammen mit ihrem Mann Normunds 2005 in Līzums mit der Bonbonfabrikation begann, aufbauend auf ihre unternehmerischen Erfahrungen bei "SIA Dimdiņi" (Gemüse- und Kohlanbau). "Es braucht ein besonderes Gefühl dafür, wann die Bonbonmasse fertig ist. Einige unserer Meister haben daher schon dreißig, manchmal vierzig Jahre Erfahrung." In der Regel bleiben die frisch hergestellten Süßigkeiten bis zu zwei Monaten frisch. "Wer es länger frischhalten möchte, kann sie aber auch im Kühlschrank lagern," verrät Audziša.

Während der letzten Wirtschaftskrise tauchten auch Billigprodukte aus der Ukraine und aus Polen auf dem lettischen Süßwarenmarkt auf. In Skrīveri versucht man dennoch bei den handgemachten Produkten weitgehend zu bleiben. Trotz des vielfältigen Sortiments nehmen die Lebenmittelketten nicht alles in ihre Angebot auf - in fünf eigenen Firmenläden, vier in Riga und einer in Skrīveri, finden Kunden alle angebotenen Sorten vollständig.Auch der Regionalwerbung und dem Tourismus helfen einheimische Produkte - besonders gern werden "Gotiņas" in Latgale angeboten („Latgales gotiņa”). Nicht sehr viel Geld steckt die Firma in Werbekampagnen - man baut mehr auf direkte Kundenwerbung und auf Betriebsbesichtigungen von Schulklassen und Touristen. Ausbaufähig ist sicherlich der Export - obwohl es bereits Abnehmer gibt in Skandinavien, Irland, Deutschland und den beiden Nachbarn Estland und Litauen.

Und wer selbst noch nicht genug von Experimenten hat: manche Süßmäuler verbreiten auch einfache Rezepte zum Selbermachen: mit 6 Gläsern Zucker, ein Eßlöffel Kakao, 100g Butter, 2 Gläsern Milch und 3 Eiern. (idejukabata). Aber wer möchte schon den lettischen Bonbonmassenfaltern und -knetern die Arbeit wegnehmen?

Lettlands Trump Fan Nr. 1: ein Grüner

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Bei den meisten politisch Interessierten in den baltischen Staaten rief die Wahl Donald Trumps zum US-Präsident und Nachfolger Barrak Obamas eher Besorgnis hervor - so bei Lettlands Ex-Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga, die in einem Interview für den STERN Trumps Wahl als "Beleidigung für die amerikanische Demokratie" bezeichnet.
Ein Schulterschluß Trumps mit dem russischen Präsident Putin erscheint möglich - zumindest wenn man Trumps Wahlkampfreden zur Sicherheitspolitik wörtlich nimmt. Da fallen diejenigen um so mehr auf, die sich auf die Seite von Trump schlagen. Bei den pro-russischen Parteien verwundert dies nicht, also etwa bei der"Russischen Union" (Latvijas Krievu savienība), die schon die russischen Aktivitäten in der Ukraine unterstützte, oder vielleicht auch bei der oppositionellen "Saskaņa" ("Einklang"), die einen Kooperationsvertrag mit Putins "einiges Russland" abschloss. Als einer der ersten Pro-Trump-Stimmen in den Reihen der regierenden konservativen Koalition tat sich jetzt Edgars Tavars hervor, Vorsitzender der lettischen "Grünen Partei" (Zaļa Partija), und seit einigen Monaten auch Staatssekretär im Verkehrsministerium (NRA 10.11.)

Profiliert sich als Trump-Fan:
Grünen-Chef Edgars Tavars
"Trump inspiriert" - so betitelt die "Latvijas Avize" ein ausführliches Interview mit Tavars. Man müsse die Ereignisse auch im Zusammenhang mit dem Brexit, Großbritanniens Ausstieg aus der EU, sehen, meint der 34-Jährige Grünen-Chef, Inhaber mehrerer Baufirmen. "Das Wahlergebnis in den USA zeigt, dass die Welt wieder in die richtigen Bahnen kommt," lässt sich Tavars in einer Pressemitteilung seiner Partei zitieren. Mit Trump zeige sich, dass die von den Großmächten diktierte liberale Globalisierungspolitik an Kraft verliere, hofft Tavars. Erstaunlicherweise beruft sich Tavars bei dem, was er für die Zukunft wünschenswert hält, auf den lettischen Regisseur Alvis Hermanis - der in Deutschland zuletzt Aufsehen deshalb erregte, weil er seine Zusammenarbeit mit dem Thalia Theater in Hamburg wegen zu großem Entgegenkommen des Theaters Flüchtlingen gegenüber aufkündigte (Blog).

"Neuer Konservatismus" wird da ausgerufen, eine größere Rolle für die Nationalstaaten, und mehr Berücksichtigung lettischer Interessen in der Europäischen Union. Wie denn die Aussagen von Trump mit den Zielen seiner grünen Partei beim Klimaschutz zu vereinbaren sei, wird Tavars gefragt, der auch schon einmal Staatssekretär im lettischen Umweltministerium war. Nein, Trump bestreite nicht das Problem der Klimaerwärmung, behauptet Edgars T. - Trump wolle das Problem nur anders lösen. "Wir müssen uns für die Natur, und auch für das Volk einsetzen," meint Tavars, der im April zum zweiten Mal als Grünen-Vorsitzender wiedergewählt wurde. Mit 734 Mitgliedern ist die "Grüne Partei" Lettlands fünftgrößte Partei. Das Bündnis der Grünen mit der lettischen Bauernpartei (Latvijas Zemnieku Partija LZP) ist Teil der Regierungskoalition. Die lettische Grüne Partei feiert in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen.

Ķirsons überwintert

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Als im Mai zwei Filialen des lettischen Unternehmers Gunārs Ķirsons in Berlin eröffnet wurden (siehe Blogbeitrag), schauten auch Lettinnen und Letten skeptisch: würde es möglich sein, die Erfolgsgeschichte des lettischen LIDO auch in Deutschland fortzusetzen? Denn der gute Ruf des 65-jährigen Letten, Sohn eines ehemals nach Sibirien Verbannten, hat bereits etwas gelitten: sein Aufstieg wurde durch die Wirtschaftskrise 2009/2010 arg gebremst, er musste Eigentum verkaufen, und manche sahen auch die LIDO-Kette kurz vor der Pleite. 2010 musste die Zahlungsunfähigkeit erklärt werden; der Umsatz sank von 900.000 im Jahr 2011 auf 240.000 Euro 2012 (delfi) - auch die Sanktionen der EU gegen Russland trafen die LIDO-Kette. Erst 2015 galt Ķirsons als wieder einigermaßen stabilisiert, das Unternehmen war jetzt auch bereits an zwei Orten in Tallinn präsent.

Also zumindest ist Stillstand nicht Ķirsons Art: 2014 startete er die Eishockey-Schule "LIDO Latvija", nur sieben Monate (!) nach deren Gründung wurde die Jugendmannschaft "LIDO Latvija" bereits lettischer Meister. Schon seit 2005 bestand der Judo-Klub "Lido". Denn Ķirsons ist auch Sportler: im Sambo, einer dem Judo ähnlichen Kampfsportart, deren Tradionen zu Sowjetzeiten gelegt wurden, ist Ķirsons dreifacher lettischer Meister, da ist fast logisch, dass er auch Träger des schwarzen Gürtels im Judo ist. Auch in der Leichtatlethik übte er sich, im Speerwerfen versuchte er sich zu Zeiten als Jānis Lūsis Vorbild für alle war. Aber als Sportler sah Ķirsons für sich keine Möglichkeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten: zunächst wurde er Schweinezüchter, dann als Kellner und Barkeeper. Während der Olympischen Spiele, deren Segelwettbewerbe 1980 in Tallinn ausgetragen wurden, soll Ķirsons dort die Gäste mit Cocktails erfreut haben (sporto). Auch in Riga, im damaligen Restaurant "Ščecina" ("Stettin"), arbeitet der umtriebige Lette noch als Barkeeper, und ist besonders stolz auf seine Gin-Tonic-Rezepte (damals das Modegetränk in Riga). Der Versuch des Wechsels zur Kunsthochschule (die Lebensgefährtin war Malerin) scheiterte noch an der Aufnahmeprüfung, aber 1987 eröffnet er in der Lāčplēša ielā in Riga die Bar "LIDO". 1991 wird Ķirsons zum Eigentümer, und kann die heute noch bestehende Kette von Schnellrestaurants eröffnen: deftiges, frisch zubereitetes Essen in leicht folkloristisch angehauchter Atmosphäre - in den 1990igern war LIDO in Riga so beliebt, dass selbst die Konkurrenz von "MacDonalds" oder KFC nicht gefürchtet werden brauchte.

Politikern wie Ex-Premier Valdis Dombrovskis bezeugt Ķirsons heute seine Hochachtung, den Staat ruhig durch die Krise gebracht zu haben (Delfi). Das LIDO-Erfolgsrezept im Heimatland Lettland beruht auch auf der Erkenntnis, dass Lettinnen und Letten durchschnittlich eher konservativ essen, was die Auswahl betrifft: eher traditionelle Gerichte.

Ob das auch fürs deutsche Publikum gilt? Das Konzept der beiden Berliner "Ķirsons" läßt ein wenig darauf hindeuten: Suppe, Hauptgericht, Nachtisch (oder Kuchen). Satt werden soll der Kunde, ohne von allzuviel lettischen Experimenten belästigt zu werden. Aber: viele frische Säfte. 3 Millionen Euro investierte Ķirsons (nach eigenen Angaben) in Berlin (mit Hilfe der DNB-Bank) in 721 qm Restaurantfläche, gestaltet von Tochter Evija Ķirsone. Arbeitsplätze auch für insgesamt 62 Lettinnen und Letten.

Gegenwärtig gleicht zumindest das Lokal nahe der Jannowitzbrücke einer Ruhe-Oase. Draußen tobt der sogenannte "Wintertraum am Alexa", der mit seinen Geisterbahnen, Schreckenskammern und blinkend hupenden Karussels eher einem Alptraum gleicht - jedenfalls für diejenigen, die Weihnachten mit Christi Geburt oder einer Zeit der Besinnlichkeit identifizieren. Draußen haben sogar die Esten sich unter den Trubel gemischt und verteilen im blau-weiß-schwarzen Elchkostüm ihren Wodka. "Aprés Ski Feeling" wird hier beworben, und "Halloween" oder "Chaos Airport" weisen den Weg: in Ruhe einkehren bei Ķirsons. Vielleicht hat es mit dem "Schlachtenlärm" draußen zu tun, wenn auch der Lette sich überraschend einseitig männlich gibt: "der Weg zum Herzen eines Mannes geht durch den Magen", so der neue Werbespruch. Wie, stehen bei Ķirsons etwa nur die Frauen am Herd? Keineswegs, das ist offenbar.
Noch 100 weitere Restaurants möchte Ķirsons in Deutschland eröffnen, so verkündete es die Firma vor der lettischen Presse. Wir warten gespannt - vorerst ist es ein erster Schritt, dass Ķirsons in Berlin überwintert.

Vier Jahre 100 feiern

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Wenn am 26. Dezember im australischen Melbourne die 56.Lettischen Kulturtage eröffnet werden, wird das Event bereits als Startschuß gezählt in einer langen Reihe von Feierlichkeiten zu Lettlands 100. Unabhängigkeitsgeburtstag. Von Australien aus wird eine spezielle Flagge dann weitergereicht, gestaltet von der Textilkünstlerin Dagnija Kupča aus Cēsis, die über alle Kontinente der Erde hinweg 2018 dann zurück nach Lettland kommen soll.

Lettland wird sich die Feierlichkeiten zum 100.Unabhängigkeitsjahr 2018 voraussichtlich 60 Millionen Euro kosten lassen - als Basis verabschiedete am 13.Dezember das lettische Regierungskabinet einen entsprechenden Etatplan. Insgesamt gäbe es 800 verschiedene Projektideen dazu in Lettland, und weitere in 70 Staaten der Welt, es wird Veranstaltungen bis ins Jahr 2021 dazu geben. Als "Sprachrohr" dazu wurde eine spezielle Internetseite geschaffen: LV100.lv. Wer sich das Grundsatzpapier des lettischen Kulturministeriums zu diesem Thema durchliest, stößt auf teilweise erstaunliche Thesen.
Der langfristige Erhalt der lettischen Staatlichkeit sei im wesentlichen vom Wunsch der Menschen abhängig, Lettland als unabhängigen Staat erhalten und an seinem Wachsen mitarbeiten zu wollen, heißt es da. Von "Valstgriba" ist viel die Rede ("Staatswillen"). Und dann folgt ein erstaunliches Eingeständnis: lettische Sozialwissenschaftler hätten festgestellt (Quellen werden nicht genannt), dass in den vergangenen 15 Jahren Umstände sich entwickelt haben, die eventuell geeignet seien, den lettischen "Valstgriba" zu schwächen. Gegenüber staatlichen Institutionen sei ein großes Mißtrauen festzustellen, die politische Beteiligung schwinde. Viele träumten von einem Modell angeblicher sozialer Sicherheit, so wie es das Sowjetsystem versprochen habe. Aufgrund den Errungenschaften der Europäischen Union in punkto persönlicher und beruflicher Mobilität hätten mehr als 250.000 Menschen Lettland verlassen, stellt das Ministerium fest. Gleichzeitig habe sich das Unsicherheitsgefühl in einen Regionen des Landes verstärkt. Aber sowohl die Einwohner Lettlands wie auch die im Ausland wohnenden Staatsangehörigen hätten sich bisher ihren Patriotismus und nationales Zugehörigkeitsgefühl bewahrt - beides soll durch die Hundertjahrfeier gestärkt werden. Motto wird sein: "Ich bin Lettland" (Es esmu Latvija).

Die lettische Presse rechnet vorerst nur in nackten Zahlen.Das Gesamtbudget aller Aktivitäten summiert sich auf 60 Millionen Euro - 32 Millionen sollen dabei aus dem Staatssäckel kommen. Ein Teil dieser Summe bezieht sich allerdings auf bereits regelmäßig stattfindende Kulturveranstaltungen, wie etwa die 6,5 Millionen Euro, die für das 2018 regulär anstehende Sängerfest bereitgestellt werden (delfi.lv).

Geht ab sofort im Spezialkoffer
auf Reisen: die lettische
Flagge wird 2018 zurück
erwartet
Wie einleitend ja bereits gesagt, sind also auch etliche Gelder dafür vorgesehen, dass Lettinnen und Letten, die im Ausland leben, ebenfalls Hundertjähriges feiern können. Gleichzeitig steigt allerdings der moralische Druck: das Lettische Institut (von der Zielsetzung vergleichbar mit dem deutschen Goethe-Institut) startete jetzt eine Kampagne "Wir wollen Dich zurück" ("#GribuTeviAtpakaļ"). Lettinnen und Letten sollen im Ausland lebende Freunde und Bekannte mit dieser "emotionalen Botschaft" deutlich machen: ihr seid uns wichtig, Lettland ist immer eure Heimat.
Gleichzeitig tauchen Berichte in der lettischen Presse speziell zu Politikerkindern unter der Überschrift auf "diese wollen nicht zurück". Die Zeitschrift "IR" zählt Beispiele auf: Gints Kučinskis, Sohn des lettischen Ministerpräsidenten, studierte Physik und arbeitet in Deutschland. Nein, er habe seinen Sohn nicht gedrängt, zurückzukommen, sagt der Pappi und Regierungschef; er wisse, wie schwer es Naturwissenschaftler in Lettland haben, an gut bezahlte Projekte zu kommen.
Sintija Brigmana, Tochter des Fraktionschefs der Bauernpartei und der Grünen, August Brigmanis, studiert schon seit sie 16 Jahre alt war in Großbritannien. Sie komme aber regelmäßig zu Besuch, antwortet Brigmanis, und es reiche schließlich nicht einfach zu sagen "komm zurück" - es müsse auch ein guter Job, Kindergarten, Schule und Internetzugang sein (sagt ein schon jahrelang als Abgeordneter tätiger Mensch).
Auch die beiden Kinder von Lettlands langjährigem EU-Kommissar Andris Piebalgs, Alise und Anete, leben im Ausland (in Österreich und Großbritannien) und arbeiten beide für große Unternehmen, die keine Niederlassungen in Lettland haben.
Vorerst scheinen also moralische Empörung und persönlicher Realismus noch zwei verschiedene Dinge zu sein. Wird Lettland nach 4 Jahren Dauerfeier anders aussehen?

"Bahnhof verstehen" als Vision

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Wie wird der Hauptbahnhof Riga in Zukunft aussehen?
Eher wie eine aufgeteilte Apfelsine (dänischer
Entwurf) ...
Manchmal wirkt der Hauptbahnhof der lettischen Hauptstadt wie ein Nukleus veränderlicher Zeiten: wer sich noch an eine Kapelle vor den Bahnhofstoren erinnert, wird den "Dünaburger Bahnhof", 1861 erbaut, jedenfalls vor 1920 gesehen haben. Neben diesem entstand der heutige Hauptbahnhof. Nachdem 1872 die Eisenbahnbrücke über die Daugava gebaut worden und der bisherige "Mitauer Bahnhof" damit eine direkte Verbindung zur Stadt bekam, waren Bahnreisen ab Riga in alle Richtungen möglich. Der "Dünburger Bahnhof" wurde 1885 ausgebaut, bis 1914 wurde eine modernere Bahnbrücke über die Daugava erstellt, und die Station hieß nun zunächst "Riga 1". Nochmals neu erbaut wurde das Bahnhofsgebäude dann in der Nachkriegszeit - nachdem das alte Gebäude 1950 abgerissen worden war. Die Neueröffnung fand am 20. Juli 1960 statt, mit gegenüber dem Stadtniveau erhöht verlegten Bahnsteigen, einem erweiterten Bahndamm bis zur Daugava, und dem noch heute bekannten Uhrenturm, der anfangs auch als Wasserturm genutzt wurde. 
... oder vielleicht wie eine Siegesfackel
die aus der Ferne winkt?
In dieser Form war der Hauptbahnhof Riga lange bekannt. Inzwischen wird der Bahnhofsbereich umringt von Einkaufmeilen ("Origo"). Der neue Uhrenturm wurde ebenfalls 2003 fertig, 46m hoch und mit den Großbuchstaben RIGA auf der Spitze. Im vergangenen Jahr feierte die Lettische Eisenbahn ihr 155.Jubiläum.

und auch die Eisenbahnbrücke
muss erweitert werden (hier
einer der Projektentwürfe)
Nun denken aber Bahn und Stadt erneut über neue Zeiten nach. Wenn die Schnellbahnlinie der RAIL BALTICA mal bis Riga fertig sein sollte (bis 2020 will man zumindest begonnen haben), muss die Verzahnung der Verkehrswege neu gestaltet werden. Das neue Stichwort ist dann "multimodaler Funktionsknotenpunkt". Ende November 2016 wurden die Ergebnisse eines Ideenwettbewerbs veröffentlicht, an dem sich 15 Architekturbüros aus Lettland, Dänemark, Spanien, Frankreich und Estland beteiligt hatten. Wie der Juryvorsitzende Jānis Dripe bekannt gab, habe keiner der Entwürfe völlig überzeugt - daher seien zwei Büros zu Siegern erklärt worden: ein dänisches Projekt und ein lettisches. Beiden wurden 45.000 Euro als Preisgeld zugesprochen. Nun soll in den nächsten Monaten mit beiden Siegern diskutiert werden, wie eine für die konkrete Planung taugliche Lösung aussehen könnte.

14ha Fläche umfasst das Planungsgelände insgesamt. Gegenwärtig müssen Bahnfahrer an mehreren Supermärkten und Ladenzeilen vorbeilaufen, um die Bahngleise zu finden; da sei es nicht ganz ausgeschlossen, dass selbst Einheimische sich auf dem Weg zum richtigen Gleis zwischendurch verirrten - meint Pēteris Bajārs vom lettischen Architekturbüro "OutofBox" (lsm).
Je nachdem wie der endgültige Entwurf der Planungen nun aussehen wird, wird im Zuge der Bahnhofsumgestaltung wohl auch der Autobusbahnhof teilweise oder ganz weichen müssen, ebenso wie das Kaufhaus "Titāniks". Die Durchgangsstraße, von der Daugava zum Bahnhof führend, soll möglicherweise von sechs auf vier Fahrspuren verengt werden, so dass auch ein neues Stück Park neu entstehen kann. Der Zugang zwischen Altstadt und Markt wie auch zum Bahnhof soll für Fußgänger wesentlich erleichtert werden.

Für die Zeitschrift "IR" analysierte der Journalist Mārtiņš Ķibilds die Unterschiede zwischen den beiden siegreichen Entwürfen. "Wenn man heutzutage die Leute überzeugen möchte, mit der Bahn zu fahren, dann reicht es nicht neue Gleise und Bahnsteige zu bauen," schreibt er, "auch die Atmosphäre im Bahnhof und der Zugang zur Stadt sind wichtig." Im Gegensatz zum lettischen habe der dänische auch bereits einen Eindruck der Inneneinrichtig des Bahnhofs geben wollen, so Ķibilds.Der lettische Entwurf sei einer von Maximalisten, meint er. "Nur die Hiesigen kennen eben die Verkehrssituation in Riga genau bis in die Einzelheiten." Der lettische Vorschlag enthält übrigens die Variante, am Haupteingang wieder dasjenige Bild herzustellen, was bereits jahrzehntelang dort bekannt war: die Silhouette der Altstadt. Ein spanisches Büro wurde im Wettbewerb übrigens mit einem Sonderpreis ausgezeichnet: es hatte vorgeschlagen, alle Eisenbahntrassen auf der neu zu bauenden Brücke zu vereinen und die bisherige Eisenbahnbrücke dann für Fußgänger und Radler freizugeben.
Für die Umsetzung des bereits jahrzehntelang geplanten RAILBALTICA-Projekts hat Lettland bisher 246,6 Millionen Euro vorgesehen (Estland 142 Mill., Litauen 144 Mill.). 

Blumen für niemand

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Nein, es ist keine Geschichte über das Gute und das Böse. Es ist auch keine Geschichte über lange verborgene Geheimnisse des 2.Weltkrieges, der Besetzung Lettlands durch die Nazis und die Schrecken des Holocaust. Vielleicht ist es eine Geschichte der Enkelgeneration - deren Großväter noch Schwierigkeiten hatten, vom Nazi- und Soldatenleben in ein demokratisches Deutschland hineinzuwachsen. Aber auch eine Geschichte über unangenehme Verwicklungen der heutigen Holocaustforschung, die sich bisher niemand eingestehen will.

Drei Personen hat Regisseur Chris Kraus ("Poll") in seinem neuen Film "Blumen von gestern" in den Vordergrund dieser Geschichte gestellt: nicht die Holocaust-Betroffenen oder Überlebenden, auch nicht die Täter. Die drei Hauptpersonen, Zazie (Adèle Haenel), Totila Blumen (Lars Eidinger) und "Balti" (Jan Josef Liefers) sind allesamt in der Holocaust-Forschung tätig. Als der bisherige Leiter stirbt, bricht zunächst ein unbarmherziger Konkurrenzkampf um die Nachfolge aus, dessen Ergebnis vorgezeichnet scheint: Balthasar sieht sich als den besser Geeigneten, vor allem den, der seine Emotionen besser im Griff hat. Totila ("Toto") wird zudem noch mit der Betreuung einer neuen Praktikantin beauftragt, was er vor allem als Herabsetzung versteht. Und er wird beeinflußt von der unsicheren Vereinbarungen mit seiner Frau, mit der er ein gewagtes Abenteuer eingegangen ist: weil er nicht in der Lage ist sie sexuell zu befriedigen, werden vorübergehende Liebhaber ausgesucht. Und zudem steht noch ein wichtiger Fachkongress bevor, zu der Holocaust-Überlebende geladen werden sollen - und der Umgang mit ihnen gestaltet sich keineswegs als vorhersehbar.

In den ersten Szenen des Films könnten manche Zuschauer ungeduldig werden: wirklich sympatisch kommt hier niemand rüber. Toto und Balti schlagen sich gegenseitig blutig, die Praktikantin kommt mit allerhand Vorurteilen in Deutschland an, die Wissenschaftler-kolleginnen und kollegen wirken wie verblüffte Statisten in einem Krankenhaus, wo sich die "Ärzte" selber zum Pflegefall machen.

Da wirkt der Sarkasmus der Jüdin Frau Rubinstein fast erhellend im Nebel der persönlichen Eitelkeiten und Unsicherheiten. "Zeigen Sie mal ein Foto von ihrer Frau", fragt sie Toto ganz unvermittelt, und überrascht ihn außer diesem unvermittelten Hieb in sein persönliche Schwachstelle auch noch mit bestem Befehlsdeutsch: "Hinsetzen, los zack!" Und Toto setzt sich unbeholfen mitten auf den Tisch. Eine Szene, die aus vielen persönlichen Gesprächen mit Holocaust-Überlebenden entstanden ist, meint Regisseur Chris Kraus. Dessen Stärke, nicht nur Ideen in Bilder umzusetzen (das ist, zugegeben, einfach der Beruf jedes Regisseurs), sondern auch messerscharfe Dialoge zu schreiben, die aus guter Beobachtungsgabe tatsächlicher zwischenmenschlicher Verhältnisse entstehen, wird in diesem Film mehrfach deutlich. Und Juden sind nun mal auch nur Menschen - selbst wenn sie einmal knapp dem Tode entkommen sind, laufen sie eben nicht ständig wie wutentbrannte, zerknirschte Rächer herum. Holocaust-Forscher Toto überrascht dies, wie so vielen Deutschen mindestens eine gewisse Unbeholfenheit zu eigen ist, im Umgang mit Juden. Ob diese alte Dame nun über ihn Witze macht, einfach nur schlechter Laune ist, oder nicht mehr ganz bei Sinnen - er kann es nicht einordnen. Sicherheitshalber schiebt er hinterher: "Ein Holocaustforscher mit Humor, das ist wie ein Popo ohne Loch", rutscht es Toto heraus, der an dieser Stelle zum ersten Mal einen Begriff von Zazie übernimmt.

Nicht nur dass in diesem Film ein Mops vorkommt, hat manche Kritiker dieses Films schon an Loriot erinnert. Allerdings kommt es Jan Josef Liefers über lange Strecken des Films weniger zu Gute - wo die Tonlage sich langsam im sarkastischen, dunklen Humor einpendelt, steigt für manche Zuschauer vielleicht allzu sehr die bekannte Rolle des "Börne" (aus dem Münster-Tatort) vor dem geistigen Auge auf. Das passt in diesem Fall aber schlecht, denn Liefers wirkt in dieser Filmrolle eher wie ein Spiegel dieses Schwarzen Humors, nicht wie sein Verursacher: muss er sich doch damit abfinden, erst zusammengeschlagen zu werden, eine Zeitlang mit einer häßlichen Spange herumlaufen zu müssen, als Möchtegern-Chef des Instituts unbeliebte Entscheidungen durchsetzen zu müssen und dann sich auch noch die Freundin ausspannen zu lassen. Liefers findet dabei, spätestens in der Szene wo Kongreß-Sponsor und Holocaust-Opfer zusammenkommen, durchaus gute Ausdrucksformen - nun gut, der Zuschauer mit Vorprägung ist eben selber Schuld.

Star ist hier eher Lars Eidinger - wer immer sich an diesen Film erinnert nachdem er ihn gesehen hat, wird sich auch an ihn erinnern. Wie er alle Gefühlsvarianten meistert, von aufbrausender Zerstörungswut bis zu neugieriger Spannung auf überraschende weibliche Anziehungskraft, ist durch ihn hervorragend verkörpert. Wer hier "Schwächen in der Figurenzeichnung" meint erkennen zu müssen (siehe "Westfalenpest"), hat wohl noch nie Wissenschaftscliquen intern erlebt, oder meint vielleicht, Professoren und Doktoren müsse man grundsätzlich nur anbeten. Wissenschaft darf persönliche Hintergründe haben, und damit muss man sogar umgehen lernen - das weiß inzwischen nicht nur Chris Kraus. Oder, wie es Jüdin Rubenstein im Film treffend sagt: "Man ist kein guter Mensch, nur weil man in einer guten Institution arbeitet." - Und auch Adèle Haenel wächst in diesem Film in etwas hinein, was sie zu mehr macht als einem deutschen Vorurteil einer Französin (also nicht etwa so wie Nathalie Licard bei Harald Schmidt, um wieder einmal den Weg Richtung Humor zu nehmen). Diese "Zazie" hat zudem das Glück, dass Regie und Drehbuch sie noch mitten im Film als Praktikantin kündigen und zu einer ziemlich unabhängigen Frau werden lassen - nicht nur zwischen zwei Männern, sondern auf dem Weg, ihre Bedürfnisse zu erforschen und ihren Sinn des Lebens zu finden.

Was bleibt am Schluß? Ein Kurzbesuch in Riga (nicht viel mehr als Flughafen, Hotel und ein altes Haus, das zurecht gemacht wie ein ehemaliges Gymnasium wirken soll), dazu neue Abgründe und persönlicher Ballast bei Toto, den auch Zazie nicht mehr so einfach beseitigen kann. Im Film findet eigentlich niemand sein Glück - und das ist gut so. Blumen für niemand eben - außer für diejenigen, die zufällig so heißen.

Webseite zum FilmKinofinder

Filmkritiken:
SWR / Frankfurter Neue Presse / Westfalenpost / Rhein-Neckar-Zeitung / Berliner Morgenpost / Lippische Landeszeitung / Südtirol-News / Weserkurier / ORF / Badische Zeitung / Spiegel-online / Frankenpost / Trailer-ruhr.de / Berliner Zeitung / Focus / Critic.de / Mannheimer Morgen / Rheinische Post / EPD /

Filme vor Gericht

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Der 15.Mai 1993 war ein wichtiges Datum für den lettischen Film - allerdings ist dies eine ganz neue Entdeckung, hervorgerufen und bestätigt durch eine Gerichtsentscheidung.
Es geht um 973 Filme, die zwischen 1964 und dem 4.Mai 1990 (Unabhängigkeits-erklärung des Lettischen Obersten Rats) produziert wurden. Lettlands höchster Gerichtshof (Augstākā Tiesa AT) entschied am 31.Januar, dass die Rechte für alle Filme der Sowjetzeit bei den Autorinnen und Autoren liegen - und damit weder beim lettischen Staat noch bei "Rigas Kinostudio AS". Am 15. Mai 1993 war in Lettland ein neues Gesetz zu Autorenrechten in Kraft getreten ("Par autortiesībām un blakustiesībām").  "Autoren", das heißt im Einzelnen, wie das Gericht formuliert, sind "diejenigen physischen Personen, aufgrund deren kreativer Arbeit die entsprechenden Filme gemacht wurden".

Auch ein früher geltendes sowjetlettisches Rechtsverständnis habe keinen Fortbestand. Eine Rechtslage, die es erlaubt hätte die inzwischen entstandene Aktiengesellschaft "Kinostudija" als Rechteinhaber anzusehen, hätte nur dann entstehen können, wenn die lettische Regierung eine solche Regelung gesetzlich speziell festgelegt hätte - das ist aber nicht der Fall.

Das Kinostudio Riga, so wie es zu
sowjetlettischen Zeiten aussah
Das Rigaer Kinostudio (Rīgas Kinostudija) wurde 1948 gegründet und arbeitete seit 1961 in der Šmerļa ielā 3. Hier wurden viele der Filme der sogenannten "goldenen Serie" des lettischen Films geschaffen, Filme wie "Ceplis", „Vella kalpi” (Teufels Diener), oder „Mērnieku laiki” (Zeit der Landvermesser). Als das Rigaer Kinostudio 1997 in private Hände übergeben wurde, seien aber die rechtlichen Fragen der Rechteinhaber für die bis 1993 produzierten Filme nicht gesondert geklärt worden (der Staat behielt damals 31,3% der Aktien).
Die Produktionshallen der "Rigas Kinostudija AS" heute
2007 hatte das lettische Kultur-ministerium die Publikations-rechte für die sowjetlettischen Filme an eine dänische Firma vergeben mit dem Argument, so den Zugang der Öffentlichkeit zu den Filmen sichern zu wollen. Ab 2008 hatte das Kinostudio den internationalen Vertrieb auf dieser Grundlage selbst organisiert. Ein Teil der früheren Einrichtung des Kinostudios wie Kostüme, Apperaturen, Fotos, Dekorationselemente ist heute im lettischen Kinomuseum in Riga zu sehen.

Bereits 2014 hatte ein Regionalgericht die bis dahin übliche Vorgehensweise des Kulturministeriums gestoppt, gegen diesen Beschluß hatte das Ministerium Berufung eingelegt. Nun fragen sich lettische Kinoliebhaber, wann endlich diese Filme wieder in guter Qualität - etwa auf DVD - zu haben sein werden (und nicht auf illegalem Wege übers Internet beschafft werden müssen).

Die zu damaligen Zeiten übliche Vorgehensweise bei der Entstehung von Filmen ist sehr gut durch das Projekt "Kinoskapis" dokumentiert ("Kinoschrank" genannt, mit dem Vorbild des "Dainuskapis", dem Schrank in dem Krišjānis Barons die Dainas sammelte und aufbewahrte). Jeder Film habe immer mit der Idee eines Autors seinen Anfang genommen, heißt es da; und - falls der Film dann vom Filmstudio befürwortet worden sei, dann sei daraus ein Drehbuch entstanden. Dem entsprechend begrüßt auch die heutige lettische Autorenvereinigung die neue Gerichtsentscheidung (siehe lsm) und sieht vor allem die Rechte dieser Autoren damit gesichert. Auch das Kulturministerium ist offenbar vorerst zufrieden, hat aber bisher lediglich die Digitalisierung von 15 der betroffenen Filme in einen Finanzplan aufgenommen.

Zirkusdirektor/in gesucht!

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Eine vom lettischen Kulturministerium speziell eingesetzte Kommission soll über eine neue Direktorin oder einen Direktor des traditionsreichen "Rigas Cirks" entscheiden. Sollte eine Lösung gefunden werden, wird der Stadtzirkus dann jedoch wesentlich anders aussehen als bisher. Seit 1888 gibt es in Riga einen Stadtzirkus in der Merķeļa ielā 4, der einzige in den baltischen Staaten. Zuletzt aber hatte es auch Protestdemonstrationen gegeben: vor allem wegen der Tierdressuren.

Die langjährige Zirkuschefin Lolita Lipinska hatte ihr Amt Ende vergangenen Jahres zur Verfügung gestellt, indem sie sich geweigert hatte, an einer Neuausschreibung der Stelle teilzunehmen. Lipinska hatte sich auch unzufrieden damit gezeigt, dass nach langjährigem Streit nun sowohl Gebäude wie auch Grundstück, auf dem das Zirkusgebäude steht, in Staatseigentum übergegangen war. Auch hatte die bisherige Direktorin Tierdressuren verteidigt: "In unserem Zirkus ist niemals je ein Tier, sei es Katzen, Hunde, Löwe, Tiger, Bär, Krokodil oder Elefant verletzt worden!" (delfi, cirks.lv)
Das lettische Kulturministerium dagegen äußerte sich unzufrieden mit den Zukunftsstrategien, so wie sie Lipinska vorgelegt hatte. "Frau Lipinska vertrat nur den traditionellen Zirkus," lässt sich Sandis Voldiņš als Vertreter des Kulturministeriums in der lettischen Presse zitieren, "wir aber wollen einen Multifunktionsbetrieb, wir wollen, ähnlich wie im Theater, neue Publikumsschichten ansprechen."

Die haben nur Angst vor weiteren Protestdemonstrationen - sagen einige. Andere zeigen sich erleichtert, dass wenigstens das historische Gebäude erhalten bleibt - erst war im März 2015 ein Brand im Gebäude ausgebrochen, dann waren von Baufachleuten Zweifel an der Gebäudestatik laut geworden. Das Haus ist seit Februar 2016 geschlossen, das Zirkusfestival "Zelta Kārlis" wurde auch bereits für 2017 abgesagt. Der Boden unter dem Gebäude wurde inzwischen auf Grundwasserschäden untersucht, denn an dieser Stelle hatte sich auch früher mal ein kleines Flüßchen befunden.

Unterstützer für eine Fortsetzung der bisherigen Zirkusarbeit gibt es auch: ein offener Brief mit dieser Forderung, der am 19.11.16 an Staatspräsident Vejonis, Landwirtschaftsminister Dūklavs, Kulturministerin Melbārde und Ministerpräsident Kučinskis geschickt worden war, war von 10212 Menschen unterzeichnet worden (Diena). Das lettische Landwirtschaftsministerium hatte vorgeschlagen, eine neue Zirkuskonzeption auf der Grundlage aufzubauen, dass ab dem 1.1.2018 keine Tiere mehr für Vorführungen verwendet werden.
Sicher scheint eines: die neue Direktorin oder der neue Direktor wird nicht nur ein kreatives, vielseitiges Programm auf die Beine stellen müssen - aber der Zeitpunkt einer möglichen Wiedereröffnung bleibt vorerst unklar. Dace Vilsone, stellvertretende Staatssekretärin im Kulturministerium und vorläufig zur Verantwortlichen ernannt hatte sich für umfangreiche Renovierungsarbeiten ausgesprochen, zu denen auch die teilweise Erneuerung der Fassade des Gebäudes gehöre (Diena).

Wer möchte Durchschnitt sein?

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Ob wohl alle diejenigen Lettinnen und Letten, die in anderen EU-Ländern Arbeit gefunden haben, die Statistiken der Heimat lesen? Gerade veröffentlichte das lettische Statistikamt (Centrālās statistikas pārvaldes - CSP) wieder Daten zur Wirtschaftslage. Demnach wuchs das lettische Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 2,0%.
Der statistische mittlere Nettolohn bewegt sich diesen Zahlen zufolge bei 631 Euro, was 73,5% des Brottodurchschnittslohn bedeutet.
Der gesetzlich festgelegte Mindestlohn wurde 2016 von 360 auf 370 Euro erhöht.

Doch die Verhältnisse unterscheiden sich sehr stark, von Berufssparte zu Berufssparte. Im nichtstaatlichen, privaten Sektor stiegen die Löhne durchschnittlich schneller als im staatlichen Sektor (+5,8% gegenüber +2,7%). Glücklicher sicherlich, wer im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien arbeiten: hier liegt der Lohn durchschnittlich bei 1364 Euro. Auch im Bereich Elektro-, Gas- und Wärmeversorgung sind die gezahlten Löhne mit 1163 Euro noch vierstellig. In der Verwaltung und im Bereich der Verteidigung wird durchschnittlich 1071 Euro gezahlt, in der Rohstoffgewinnung und im Tagebau sind es noch 971 Euro. Wissenschaftliche und technische Dienstleistungen können noch mit 937 Euro Brutto lohn rechnen, im Transportwesen sind es noch 870 Euro, bei Müllabfurh Sanitär und Wasser lediglich 842 Euro. Arbeiter im Bauwesen bekommen nur durchschnittlich 828 Euro monatlich, in der Wald-, Fisch- und Landwirtschaft sind es nur noch 820 Euro, in der Verarbeitungsindustrie gerade mal 811 Euro brutto.
Noch niedriger liegt sogar das Gesundheitswesen mit 799 Euro, die administrativen Dienstleistungen mit 780 Euro, Dienstleis-tungen rund um Immobilien mit 770 Euro und der Kleinhandel mit 769 Euro. Ganz am unteren Ende liegt der Bereich Kunst, Freizeit und Erholung mit 734 Euro monatlich im Durchschnitt und - das Bildungswesen, wo durchschnittlich sogar nur 703 Euro brutto gezahlt wird. Kann es noch tiefer gehen? Es kann! Im Hotel- und Restaurantwesen in Lettland wird brutto durschnittlich nur 703 Euro gezahlt. Ach ja, im Finanz- und Versicherungswesen sind es dann doch durchschnittlich 1819 Euro monatlich. (Zahlen: Dienas Bizness)

Das bedeutet insgesamt in Lettland einen Brutto-Durchschnittslohn von 853 Euro - rein statistisch gesehen, natürlich. Träumen also alle Krankenschwestern und Lehrerinnen von einer Karriere im Finanzwesen?
Heftig diskutiert wird zur Zeit eine Steuerreform. Vorschlägen des Finanzministeriums zufolge sollen Einkommenssteuern (ienākuma nodokļi UIN) gesenkt und damit vor allem kleinere Firmen gefördert werden, gleichzeitig soll die sogenannte "Solidaritätssteuer" (solidaritātes nodokli) angehoben werden (lsm, Financenet). Diese war 2016 eingeführt worden, und damit erstmals eine etwas höhere Steuerlast für Besserverdienende festgelegt (alle die mehr als 48.600 Euro pro Jahr verdienen).
Auch ein Vorschlag zur Anhebung des Mindestlohns auf 430 Euro steht gegenwärtig zur Diskussion. Aber inzwischen dauern die Diskussionen um eine Steuerreform in Lettland auch bereits Monate an.

Kirche sucht neues Zuhause

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Kirche mit Migrationshintergrund? Gibt es sowas? Bei der lettischen evangelischen Kirche könnte man es annehmen. Nein, genauer gesagt: von der "Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands im Ausland" (Latvijas Evanģēliski Luteriskā Baznīca Ārpus Latvijas - LELBĀL). Diese wurde nach dem 2. Weltkrieg gegründet, als Lettland von der Sowjetunion okkupiert wurde, und viele Lettinnen und Letten zunächst nach Westeuropa, dann weiter in andere Länder der Welt flohen.

Etwa die Häfte der evangelisch-lutherischen Priester ging damals weg, die andere Hälfte versuchte daheim, unter strenger Beobachtung des KGB und Gängelung durch die Sowjetbehörden, zu überleben. Beide Teile hatten jeweils ihre Erzbischöfe, und beide sahen sich als Nachfolger der Kirche an, die bis 1940 bestanden hatte.Diese Teilung zwischen LELB (in Lettland) und LELBĀL (außerhalb Lettlands) besteht bis heute.

Gruppenbild mit Frauen: LEBāL und LELB bei einem
der seltenen Gesprächstreffen in Riga
Das scheint wie ein Treppenwitz zum Reformationsjubiläum: der doppelte Luther für Lettland? Seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit gab es einige Versuche sich zu einigen - 1998 wurden mal "gemeinsame Regeln" festgelegt, aber vor allem seit dem Mehrheitsbeschluß der lettischen Ev. Kirche unter Bischof Janis Vanags, Ordination von Frauen weiter nicht zuzulassen, sind die Treffen seltener geworden. Das geschah im Frühjahr 2016. In den 50 Jahren getrennter Entwicklung scheinen sich die zwei lutherischen Kirchen Lettlands nun vor allem in einem einig zu sein: man ist sich uneinig.

Lauma Zušēvica ist Erzbischöfin der LELBĀL. Ihre Gemeinden liegen verstreut in Nord- und Südamerika, Neuseeland, Australien und Europa. Aber bereits am 31. Mai 2016 gründete die Auslandskirche eine erste, eigene Propstei im Heimatland: in Räumen der Universität Lettlands in Riga. Priester ist dort nun Kārlis Žols, geboren 1971 in Riga und dort als Priester ordiniert 1996; Žols lebte von 2000 bis 2015 in den USA.
Frauen als Bischöfinnnen,
Priesterinnen und Diakone:
in der Auslandskirche Lettlands
kein ungewohntes Bild mehr
Auch die Mitglieder der Kreuzkirchen-Gemeinde im Küstenort Liepāja hatten sich dafür entschieden, die LELB zu verlassen und hat einen Antrag auf Aufnahme in die LELBĀL gestellt. Der Pastor der Kreuzkirchen-Gemeinde, Martiņš Urdze, selbst in Deutschland aufgewachsen, hatte der Synode bereits vorher angekündigt dass er die LELB verlassen wolle, wenn die Frauenordination unmöglich werde. Aber die Auslandsabteilung der lettischen Lutheraner muss um ihren rechtlichen Status in Lettland noch kämpfen: um die kleine, 1792 erbaute Kirche von Valtaiķu in Kurland (früherer deutscher Name: "Neuhausen"), gab es bereits eine Auseinandersetzung vor Lettlands höchstem Gericht.
Valtaiķu hatte sich, neben einer Kirchengemeinde in Aizpute, der Kreuzkirche Liepāja und Rigas Evangelischer Gemeinde (Rīgas Evaņģēliskā draudze), sich der LELBĀL angeschlossen.

Die Auslandskirche LELBāL kündigte inzwischen an, in Lettland auch Möglichkeiten zum Bau eigener Gotteshäuser in Riga zu erkunden (KasJauns); bisher fanden die Gottesdienste in Kirchen der Methodisten und der Anglikaner statt.

Am 18. März 2017 wird auf dem Domplatz in Riga die Wanderausstellung "500 Jahre Reformation" zu sehen sein (siehe: Europäischer Stationenweg). Vielleicht sollte auch mal jemand nachsehen, ob an einer Kirche zu Wittenberge irgendwelche neue Thesen angeschlagen stehen? 

Durchgeboxt

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Foto: Sportacentrs
Ein weiterer lettischer Sportler hat es geschafft sich internationale Aufmerksamkeit zu sichern: der Boxer Mairis Briedis besiegte am 1. April 2017 in seinem Kampf nach Regeln der WBC Marco Huck nach Punkten und wurde damit neuer Weltmeister im sogenannten "Cruisergewicht" (bis 90,72 kg). Damit ist er der erste Profiboxweltmeister aus Lettland überhaupt.

Der 1985 in Riga geborene Linkshändler arbeitete zunächst bei der lettischen Polizei, bis er sich 2009 ins Profigeschäft wagte. Seitdem gewann er alle seine 22 Kämpfe, 18 davon durch Ko.
Auch Zukunftspläne hat Briedis bereits: seinen Äußerungen zufolge plant er in Riga eine Boxschule zu eröffnen, und denkt dabei auch über eine Zusammenarbeit mit Kristaps Porziņģis nach, Lettlands zur Zeit erfolgreichstem Basketball-Spieler (derzeit New York Knicks). Briedis, der auch schon mal mit Sprüchen wie "mein Doping ist mein Volk" auffiel (lsm), winkt jetzt eine "Belohnung" von 28.458 Euro aus dem lettischen Staatshaushalt, so soll es angeblich ein Vorschlag des Ministerkabinetts vorsehen. "Ich mag es nicht, wenn andere unsauber boxen", sagte er dem Newsportal "Kas Jauns" im Interview. "Andere schlagen unter der Gürtellinie oder beißen dem anderen ein Ohr ab, von mir wird es das nicht geben." 
Mit den beiden Klitschko-Brüdern pflegt Briedis gelegentlich Kontakt. Aber die größte Stütze im Leben seien ihm seine Frau und die Kinder, meint Briedis. Auch, wenn das manchmal zur Folge habe, dass er nur nach speziellem Essensplan leben kann, also ihm muss etwas anderes zubereitet werden als dem Rest der Familie. Briedis hat bereits vier Kinder - die Zwillinge Ričards un Daniels leben mit seiner ersten Frau in England. Dazu kommen dann die Tochter Brendana und der Sohn Rafaels mit seiner zweiten Frau Jūlija, die er 2013 heiratete. Auf die Frage, wie er die vielen Schläge während eines Boxkampfs aushalten könne, antwortete Briedis einmal: "Das ist doch gar nichts dagegen, was eine Frau bei der Geburt eines Kindes aushalten muss!"

Briedis, der ohne Schulabschluß ist, arbeitete zu Anfang seiner Karriere auch als Fahrer und Leibwächter, sogar als Hausmeister. Der Vater stammte aus Valmiera, die Mutter aus Latgale. Angesprochen darauf, dass manche den Latgalern nachsagen, sie würden sich mit jedem schlagen, antwortet Briedis: "Dort, wo ich als Kind vor meiner Schulzeit war, hätte ich mich nur mit den Kühen schlagen können, etwas anderes gab es dort nicht." Und dazu, dass er von vielen als "sturer Charakter" bezeichnet wird, sagt er: "Wenn jemand meint, ich müsse das und das tun, dann kann es sein, das ich antworte - nein, das überzeugt mich nicht," gibt er zu. "Wirklich mich überzeugen, das kann nur meine Frau!"

Ob Lettlands neuer Weltmeister nun wirklich zusätzlich mit einer staatlichen Prämie rechnen kann, wird das Ministerkabinett in einigen Tagen entscheiden. Da ja gerade Profiboxer bei erfolgreichen Kämpfen gerne ein sattes Preisgeld aushandeln, haben einige Journalisten auch schon mal vorsorglich nachgesehen, was Boxer Briedis zuletzt so versteuert hat - in Lettland ist das "Steuergeheimnis" weit leichter zu lüften als etwa in Deutschland. 52.211 Euro habe Briedis im vergangenen Jahr versteuert, berichtet die "Latvijas Avize", davon 12.008 Euro als Inspektor der Staatspolizei. Allerdings habe Lettlands bester Boxer auch 15.100 Euro an Belastungen angegeben, das bezieht sich auf sein Eigentum an Grundstück und Haus.

Der Liederhauer

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Skulpturen des "Dainu kalns" (Liederbergs) auf
dem Gelände der Burg Turaida nahe Sigulda
Dieses Highlight eines Lettland-Besuchs möchte kaum ein Tourist verpassen mögen:spätestens wenn der Jugendstil in Riga besichtigt, der Stop in Rundale absolviert, und der Strand von Jūrmala erkundet ist, wenden sich die Wege nach Sigulda, zur Gutmanis-Höhle und zum Nationalpark im Gauja-Tal. Dort, einen kurzen Spaziergang nur von der Burg Turaida entfernt, stehen die bekanntesten Werke des lettischen Bildhauers Indulis Ranka: 26 Skulpturen mit Themen der lettischen Liedersammlungen, der "Dainas". Kein in staatlichem Auftrag erstelltes Pathos ist hier zu besichtigen - obwohl bereits 1985 eröffnet.
Indulis Ranka, vor seiner
Werkstatt in der Amulas iela
Die Idee entstand aus dem Briefwechsel des Bildhauers mit der damaligen Direktorin des Heimatmuseums in Sigulda, Anna Jurkāne. Fünf Jahre lang wurde überlegt, welche Themen, welche Aufstellungsorte, welche Szenen am besten im Einklang mit der umgebenden Natur stehen würden. Dann allerdings wurde dieser symbolische Ort lettischen Kulturguts auch zum Treffpunkt derer, die Freiheit und Unabhängigkeit im Sinn hatten. Die Eröffnung fand am 7. Juli 1985 statt, zum 150. Geburtstag von Krišjānis Barons, dem Liedersammler, der den Dainas einen eigenen Schrank baute. 1988 fand das erste Folklorefestival "Baltica" hier statt, und erstmals nach langer Zeit war auch wieder die lettische Fahne gezeigt. 

Indulis Ranka beschäftigte sich, nachdem er in den 1950iger Jahren die Kunsthochschule abgeschlossen hatte, zunächst mit Malerei und Grafik. Aus dem Jahr 1966 sind seine ersten Skulpturen aus Granit bekannt. "Wenn unwiderstehliche Kraft auf unbewegliche Objekte trifft" - dieses Motto hat eine Webseite gewählt, die sein Andenken ehren will. Und tatsächlich: manche seiner Werke sehen so aus, als hätten riesige Finger einfach mal ein wenig im weichen Ton gespielt und so Figuren geformt. Können Steine schmelzen? Wenn, dann unter den kräftigen Händen von Indulis Ranka, möchte man meinen - wer jemals gesehen hat, mit welch riesigen Baggern und Baufahrzeugen die Steine bewegt und herbeigeschafft werden müssen, aus denen Ranka dann Kunstwerke schuf, wird verstehen was künstlerische Ideen zu bewegen vermögen. Er schuf aber tatsächlich von vielen seiner Skulpturen vorher kleine Plastilinmodelle, um die künstlerischen Ideen möglichst bis zur Fertigstellung optimieren zu können.

Indulis Ojārs Ranka, geboren 1934 in Jaungulbene in Vidzeme, beteiligte sich auch an vielen internationalen Symposien vor allem nach Norwegen, Moldawien, auch in Japan. Kennzeichnend für ihn sind die Betrebungen, Freiluft-Skulpturengärten zu errichten - so auch nahe seiner Werkstatt in der Amulas iela im Rigaer Süden, nahe dem Fluß Mārupīte ("Akmeņdārzs"). Dort, öffentlich ausgestellt und frei zugänglich, geschah es nicht selten, dass Kinder seine Skulpturen erklimmen oder auf andere spielerische Art und Weise "gebrauchten". Da konnte es leicht passieren, dass der Künstler selbst, leise den nur mit einem losen Lattenzaun verschlossenen Zugang zu seinem Atelier öffnend, plötzlich schmunzelnd daneben stand. Zweckentfremdung, Entehrung der Kunst? Nein, so etwas wäre Ranka nie in den Sinn gekommen - sein geistiges Gut und Inspiration war des Volkes, und seine Kunst sollte es wohl auch sein. 
Indulis Ranka starb am 13. April 2017 in Riga, zwei Tage vor seinem 83. Geburtstag.
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