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Erstaunliche Befunde

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In der vergangenen Woche gab die Anti-Korruptionsorganisation "Tranparency International" (TI) ihren jährlichen Bericht heraus. "Europäischer Integrationsbericht" nennt sich diese nach Art eines Ländervergleichs verfasste vergleichende Zusammenfassung der Lage in 25 Ländern Europas. Wer diesen näher liest, wird feststellen dass Kriteria der Korrutionsbekämpfung gar nicht so einfach aufzustellen sind - die Wege der illegalen und undemokratischen Einflußnahme sind vielfältig.

Die auch in Lettland bekanntesten Schlagzeilen von "Transparency International" werden regelmäßig Ende des Jahres mit Bekanntgabe des sogenannten "Korruptionswahrnehmungsindex"(Corruption Perception Index - CPI) erzeugt. Aufmerksam beobachtet lettische Presse und Öffentlichkeit, ob sich Lettland in dieser internationalen Skala nach oben oder unten bewegt: 2011 war es zuletzt Platz 61 unter 182 aufgelisteten Ländern (Estland 29, Litauen 50). Hier geht es vor allem die "Wahrnehmung" von Korruption: mittels Umfragen werden Menschen des jeweiligen Landes befragt, wie verbreitet ihrer eigenen Meinung nach Korruption ist. Also: Von den drei baltischen Staaten wird in Lettland Korruption am stärksten als vorhanden wahrgenommen. Ob Korruption dann gleichzeitig auch als Problem wahrgenommen, oder als unvermeidbar hingenommen wird - auch das steht schon wieder auf einem anderen Blatt.

Nun also der "Integrationsbericht". Hier werden vor allem die Maßnahmen zur Bekämpfung und Vermeidung von Korruption bewertet. Gibt es rechtliche Sanktionsmöglichkeiten gegen Korruption? Sind Parteispenden transparent und öffentlich einsehbar? Gibt es unabhängige Institutionen mit konkreten Möglichkeiten der Korruptionsbekämpfung? Auch hier werden also weder nachgewiesene Bestechungssummen zusammengerechnet, noch können an Korruption beteiligte Personen bewertet werden. Vielmehr konzentriert sich "Tranparency International" darauf, möglichst klar und verständlich deutlich zu machen, mit welchen Maßnahmen Korruption bekämpft werden kann - und dabei durchaus auch die nationalen Lösungen einzelner Länder miteinander zu vergleichen. Edda Müller, Vorsitzende von Transparency Deutschland: "Der Europäische Integritätsbericht zeigt, dass Deutschland bei der Korruptionsbekämpfung nicht der Musterschüler Europas ist."

Infografik zu einem Projekt von "DELNA"
(Transparency International, Lettland)
Nun aber das Überraschende: im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung in Lettland, die Korruption als immer noch weit verbreitet empfindet, finden immerhin die bereits getroffenen Maßnahmen dagegen besonders lobende Erwähnung. Transparency findet offenbar die Vergleiche mit der Situation in Deutschland besonders interessant. Hier zwei Befunde im Zitat:

Parteienfinanzierung in Lettland: Spätestens 15 Tage nach Eingang einer Parteispende ist die Stelle für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung zu informieren. In einer online-Datenbank werden Empfänger, Herkunft, Höhe und Datum der Spende bekannt gegeben.
Stand in Deutschland: Parteienspenden werden erst ab einer Höhe von 10.000 Euro veröffentlicht. Diese werden zurzeit erst bis zu 18 Monate später veröffentlicht. Nur für Spenden über 50.000 Euro gilt eine unmittelbare Veröffentlichungspflicht.

Veröffentlichung von Nebeneinkünften in Lettland: In Lettland machen Abgeordnete und politische Beamte weitreichende Angaben zu ihrem Einkommen, Eigentum, Aktien und anderen Aktiva, Spareinlagen, finanziellen Transaktionen, Schulden und Krediten. Stand in Deutschland: Die Höhe der  Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten wird lediglich in drei Stufen (1.000 - 3.500 Euro; 3.500 - 7.000 Euro; über 7.000 Euro) veröffentlicht. Es bestehen keine Pflichten zur Veröffentlichung von Vermögen.

So sieht es also aus. Und nun haben alle, die beide Länder kennen und im jeweils anderen Land auch schon mal gelebt haben die Gelegenheit, weiter zu diskutieren ...

Pressemitteilung Europäischer Integrationsbericht
ausführlicher Bericht (engl.): Corruption Risks in Europe
Corruption Perceptions Index 2011
Webseite der lettischen Antikorruptions-NGO DELNA (Sabiedrība par atklātību  - Transparency International, Latvijas nodaļa)
Lettisches Korrutionsbekämpfungsbüro (KNAB -Korupcijas novēršanas un apkarošanas birojs)

Priecīgi Jāņi

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Ein fröhliches Mitsommerfest feierte  Lettland am vergangenen Wochenende, allein 60.000 Menschen versammelten sich am Samstag am Daugavaufer bei Musik und Tanz.
Wer Jānis heißt, feiert am selben Tag auch Namenstag. In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Jungen und Männer mit Vornamen Jānis allerdings um 8.6% zurückgegangen, teilte die staatliche Nachrichtenagentur LETA mit und berief sich damit auf die Daten des Bürgerschafts- und Migrationsamt Lettlands. In diesem Jahr konnten aber immerhin 58.469 Menschen die Jānis heißen in Lettland Namenstag feiern (2007 waren es noch 63.950 gewesen).
Am selben Tag feiert auch der weibliche Vorname Līga - in diesem Jahr 10.587 mal bei Mädchen und Frauen Namenstag (2007 waren es 10.785).
Die meisten Träger und Trägerinnen dieser traditionsreichen Vornamen leben in Riga - 10.507 mal Jānis und 1930 mal Līga. Noch weitere knapp 2000 Jānis leben momentan außerhalb Lettlands im Ausland.

Lüneburg lettisch

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Sehr stark repräsentiert zeigte sich Lettland auf dem Internationalen Hansetag in Lüneburg. Gleich sieben lettische Städte mit Hansetradition (Cēsis, Koknese, Kuldīga, Limbaži, Riga, Straupe, Valmiera) waren in Lüneburg vertreten - nur Ventspils war diesmal offenbar nicht dabei. Gute Gelegenheit sich gerade gegenüber den Deutschen mal ins rechte Licht zu setzen, denn unter den etwa 100 möglichen deutschen Mitgliedern der Neuen Hanse (nicht alle Städte mit Hansetradition sind aktiv dabei) bieten sich den lettischen Gästen reichlich Möglichkeiten, neue Kontakte zu knüpfen und sich bekannter zu machen.

Harmony4Riga - Hansetage Lüneburg 2012c/o Albert Caspari on Vimeo.
Während es deutsche Zuhörer bei der Musik des Barbershop-Quartetts "Harmony4Riga" relativ leicht gemacht wurde (Lieder in Deutsch und Englisch, kleine, gut moderierte Bühne), hatten es die Musikgruppen aus Koknese und Limbaži schon etwas schwerer. Auf riesigen Bühnen, ungewohnt hoch und weit weg vom Publikum gebaut, fanden sich Musiker/innen und Tänzer/innen platziert. Aber siehe da, "inter-lettische" Unterstützung nahte! Während oben das Programm lief, brachen unten die übrigen Lettinnen und Letten aus Straupe, Riga oder Valmiera die Hemmschwellen und griffen sich deutsche Tanzpartner/innen.
Insgesamt war die starke lettische Repräsentanz auffällig für alle Lettland-Fans. Auch die Musikerinnen und Musiker hatten offenbar Spaß am Ereignis: immer wieder waren sie entweder in den Lüneburger Altstadtstraßen oder an den Infoständen der lettischen Hansestädte musizierenderweise anzutreffen.

mehr Fotos  /  Webseite Hansetag 2012

hansetage lueneburg 2012 lemiselevon Albert Caspari on Vimeo.

Ein Umzugsjahr

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Das Richtfest ist längst gefeiert, aber auf die Inbetriebnahme im neuen Gebäude muss die Lettische Nationalbibliothek noch eine Weile warten.
Für den Nationalfeiertag dieses Jahres (18.November) ist die Beendigung aller Arbeiten am Gebäude vorgesehen. Aber erst ein Jahr später, Ende 2013, wird das neue Haus dann fertig zur Eröffnung sein: ein ganzes Jahr lang wird umgezogen - aus fünf bisherigen Gebäuden hinein ins neue Domizil.
Langsames Werden:
"Gaismas Pils"
nimmt
Gestalt an
Erst kürzlich durften sich interessierte Vertretern der lettischen Regierung von den Bibliotheks-Verantwortlichen erzählen lassen, alles sei vorbereitet für den Ortswechsel: Tausende Bücher mussten abgestaubt und gesäubert, manche restauriert, Inhalte erfasst und Kataloge elektronisch erstellt werden. Sorgen bereitet noch die verfügbare Finanzierung: zwischen 1998 und 2008 waren es 170.000 Lat pro Jahr (245.000 Euro), seit 2008 wurde diese Summe um 52% zusammengestrichen; unter anderem der Ankauf fremdsprachiger Literatur sei von den Kürzungen betroffen, heißt es.Auch die Arbeiten an der Fassade des neuen Gebäude mussten 2009 zwischenzeitlich schon einmal für eine kurze Zeitspanne eingestellt werden.

In der Zeitschrift IR ist eine Aufstellung nachzulesen, die noch mehr Zahlen zusammenzufassen versucht: 637 Lastwagenladungen würden demnach für die geschätzten 3,8 Millionen einzelne Einheiten und deren Umzug nötig sein, dazu weitere 66 Ladungen für Dokumentation und Archiv. Auf die 328 Angestellten der Nationalbibliothek (30% weniger als noch im Jahr 2008) kommen geschätzte 176 Arbeitstage allein für den Umzug zu.
Der 29.August 1919 gilt als Gründungstag der Lettischen Nationalbibliothek - an welchem Datum genau der erste Besucher oder die erste Besucherin über die Schwelle des neuen Gebäudes treten wird, scheint momentan aber noch nicht endgültig festgelegt. Aber alle werden froh sein, wenn das Projekt zum Kulturhauptstadtjahr 2014 in Funktion sein wird.

Webseite der Lettischen Nationalbiliothek / Webseite des Neuen Bibliotheksgebäudes

Bahnfahren durchs Politikgestrüpp

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Als Anfang der 90er Jahre - kaum war der "eiserne Vorhang" gefallen - der von Estland mitfinanzierte "Balti Express" von Berlin über Warschau und Vilnius nach Tallinn fuhr, da hielten viele diese Reiseform um den Nordosten Europas kennenzulernen für ideal. Die gesellschaftlichen Unterschiede waren noch groß, die Menschen lebten in Stadt und Land noch völlig anders als in Westeuropa.
Allerdings war es damals noch schwierig, im Lande und auf Bahnhöfen weiterzukommen: kaum jemand konnte Englisch oder Deutsch Auskünfte geben, ein Fahrplanaushang war nur schwer zu finden, und vor den Schaltern standen die Wartenden manchmal in langen Schlangen - oft ohne leicht erkennbaren Grund. Mit dem Zug von Deutschland nach Lettland fahren hieß damals, sich ganz allmählich, von Bahnhof zu Bahnhof, anzunähern.
Ein Bild aus alten Tagen:schwerfällige Züge, energie-
fressender Betrieb, hohe Einstiege: die lettische Bahn
bedarf derModernisierung (Abb.:Bahnhof Tuckums 1996)

Die Bahn fährt hinterher
Wer seit damals jetzt zum ersten Mal wieder eine Zugverbindung nutzt, wird große Veränderungen feststellen. Der Hauptbahnhof Riga ist mit mehren Einkaufsmeilen verknüpft, der Weg zum Gleis manchmal schwer zu finden. Wer mit dem Schiff kommt - beispielsweise nach Ventspils oder Liepaja - wird staunen, dass dort so gut wie gar kein Bahnanschluß mehr zu finden ist. Und selbst wer von den einzeln noch in Betrieb befindlichen Schmalspurbahnen Lettlands mal gehört hat, wird wahrscheinlich Staunen an lettischen Bahnschaltern erregen, wenn auf einer Zugfahrkarte bestanden würde um deren Ausgangsbahnhöfe zu erreichen.

Valmiera, Sigulda, Salacgriva? Pärnu, Šiauliai,
Kaunas? Eigentlich möchten alle dabei sein - aber beim
Thema Bahnverkehr eilt es offenbar niemand
Dennoch ist das Netz der lettischen Bahnbetriebe ("Latvijas dzelzceļš") dieser Tage zu einem großen Thema der lettischen Politik geworden. Die Schienenstrecken müssen modernisiert werden, neue Waggons und Lokomotiven angeschafft, und auch die Wiedereröffnung guter internationaler Verbindungen zu den Nachbarländern ist längst überfällig. Allerdings gibt es in Lettland keine "Pro Bahn"-Kampagnen - auch wenn sich seit der Wirtschaftskrise nicht mehr jeder unbedingt ein Auto leisten möchte. Vielmehr sind hinter den verschiedenen öffentlich geäußerten Meinungen vermeintlich leicht entweder eigene (Geschäfts-)Interessen, oder diejenigen starker Lobbygruppen zu erkennen. So stritten noch im vergangenen Jahr die politischen Parteien über die Prioritäten: sollen zuerst die Bahnverbindungen nach Tallinn und Vilnius bzw. Kaunas - und damit innerhalb der EU - modernisiert und ausgebaut werden, oder sehen starke Interessenvertreter der Wirtschaft ihre Vorteile eher an einer besseren Verbindung nach Moskau?

Bahnfahren - auch eine Frage der Perspektive
Als sich im November 2011 die Regierungschefs der drei baltischen Staaten anläßlich eines Arbeitstreffens auf die Verwirklichung der Ziele des EU-weiten Projekts "Rail Baltica" verständigten, waren dennoch manche grundlegenden Fragestellungen noch gar nicht entgültig entschieden. Für welche Geschwindigkeit soll die Strecke ausgelegt werden, und soll auf der bisherigen breiten Spur (1520 mm) ausgebaut werden, oder die in Westeuropa übliche schmalere Spurbreite (1435 mm) eingeführt werden? Polen, Litauen, Estland und Lettland sind in das Projekt direkt involviert. Und während für Helsinki sich mit einer direkten Zugverbindung nach Berlin ein weiteres "Tor nach Europa" öffnen würde (über die konkrete Schienenverbindung zwischen Tallinn und Helsinki wird noch gegrübelt), steht aus Berliner Sicht das Projekt offenbar unter dem Schlagwort "von Berlin nach St.Petersburg". Ein möglichst attraktives Ziel "am anderen Ende" benennen zu wollen, das ist offenbar allen Akteuren gemeinsam.

die momentan wahrscheinlichste
Trassenvariante der "Rail Baltica"
Offiziell werden meist die europaweiten Ziele von "umweltfreundlichen Verkehrsformen", Verminderung des CO2-Gehalts in der Luft, und Vermeidung von zuviel Auto- und LKW-Verkehr als Begründung für das Projekt genannt. Jahrelang haben allerdings die politische Verantwortlichen der Region östlich der Ostsee die Bahn vernachlässigt: in Lettland ist gerade mal noch die Nahverkehrsverbindung zwischen Riga und dem Badeort Jurmala gut mit Passagieren ausgelastet. Längst hat das Streckennetz mit dem, was vor 20 Jahren mal nutzbar war, nicht mehr viel gemeinsam. Es fehlt auch wahrscheinlich das Gefühl, im Sinne starker Bürgerinteressen handeln zu können, wenn lettische Politiker vor der Frage stehen, sich für die Bahn als Verkehrsmittel einzusetzen. Als allerdings wegen der Vulkanasche aus Island im Frühjahr 2010 der Luftraum auch über Lettland tagelang nicht nutzbar war konnte jeder leicht erkennen, wie einseitig die Verkehrsströme ausgelegt sind - abseits von Flug, LKW, PKW und Bus hat die Bahn stark an Bedeutung verloren.

Dieser Waggon wurde von der EU mitfinanziert - zu sehen
auf der Bahnfahrt von Riga nach Tukums
Welche Streckenführung nutzt wem?
Nachdem bereits 2007 eine erste Machbarkeitsstudie erstellt worden war, gewann im Jahr 2010 die britische AECOM Ltd. eine Ausschreibung, um verschiedene Streckenvarianten zu untersuchen. Nachdem zunächst 20 Varianten in der Diskussion waren, wurden dann vier ernsthafte Varianten erwogen (sogenannte "rote", "orange", "gelbe" und "grüne" Route).Die "rote" Variante wurde als die beste ermittelt; falls diese so realisiert wird, wird es auf der "Rail-Baltica"-Route nur wenig Haltestellen geben: Tallinn Flughafen, Tallinn Stadt, Pärnu, Riga, Panevėžys und Kaunas. Insgesamt 728 km wäre diese Strecke lang: 229 km in Estland, 235 km in Lettland und 264 km in Litauen. Die Kosten für diese bis 2014 zu bauende neue "Schmalspur"-Schnellstrecke werden auf 3,68 Milliarden Euro geschätzt, der in Lettland zu bauende Teil soll 1,27 Milliarden Euro (889 Millionen Lat) kosten, wobei eine Mitfinanzierung durch die EU von mindestens 56% als gesichert gilt. Eine mögliche stärkere Mitfinanzierung durch die EU (bis zu 85%) hängt vor allem davon ab, ob Lettland diesem Bahnprojekt Vorrang gegenüber anderen Infrastrukturprojekten einräumt - zum Beispiel der Elektrifizierung der Bahnstrecke nach Moskau. Nach der Inbetriebnahme soll die Strecke sich für 30 Jahre selbst finanzieren - gerechnet wird vor allem mir einem starken Wachstum im Güterverkehr. Bahnreisende werden dann mit einem Grundpreis von 8 Cent pro Km rechnen müssen. 

Wem kommt da etwas Spanisch vor?
Gegner des Projekts rechnen für Lettland größere Möglichkeiten im Ost-West-Geschäft aus - also in der Elektrifizierung der Bahnstrecke Richtung Moskau. Aber das "Rail-Baltica-Projekt" ist nicht der einzige Diskussionsgegenstand, wenn es um die lettischen Bahnstrecken geht. Zum einen müssen natürlich auch die anderen existierenden Bahnstrecken modernisiert werden, und zum anderen wird der Ankauf neuer Loks und Waggons geplant. "Der Zugankauf könnte zum größten Finanzgeschäft in Lettlands Geschichte werden" meint der lettische Journalist Aivars Ozoliņš. Zum Politikum wurde es aber vor allem dadurch, dass dieses Projekt noch an "Oligarcheninteressen" zu hängen schien, während die Regierung Dombrovskis ja mit dem Motto der Zurückdrängung dieser großen Geldgeber (sogenannten Oligarchen) auftritt. Lange war das Verkehrsministerium von der ZZS (Zaļo un zemnieku savienība) und damit von deren Finanzgeber Aivars Lembergs beherrscht. Der von der vorigen Regierung bereits abgeschlossene Vertrag mit der spanischen CAF ("Construcciones y Auxiliar de Ferrocarriles SA") über den Ankauf von 34 Elektro- und 7 Dieselloks wurde als "für Lettland ungünstig" in Frage gestellt. Partner wäre die lettische Firma "Pasažieru vilciens" (PV), bzw. deren Waggonbaufirma RVR ("Rīgas vagonbūves rūpnīca").
Als die Europäische Union Druck machte - denn 100 Millionen Lat an EU-Unterstützung der 144 Millionen an Gesamtkosten waren bereits zugesagt - wurde im April 2012 ein neuer Vertrag unterschrieben, der aber auch nur dann in Kraft tritt wenn das Minsterkabinett ihn innhalb von sechs Monaten bestätigt. Das lettische Finanzministerium äußerte Einwände vor allem gegen den zweiten Teil des Vertrag, bei dem es nicht um den Ankauf, sondern um die Wartung der neuen Züge geht: auf 30 Jahre soll dies 280 Millionen Lat wert sein. Auch den Rücktritt von Justizminister Gaidis Bērziņš brachten einige politische Beobachter mit den Verhandlungen um eine Neufassung der Verträge in Zusammenhang, denn Bērziņš galt manchen als Vertreter der Interessen von Lembergs.

Werbeaussage im Bahnhof Riga:
"Zum Frühstück in Moskau, zum Abendessen in Riga"
Inna Šteinbuka, Lettlands Vertreterin bei der Europäischen Kommission, erneuterte kürzlich ihre Bedenken, Lettland könne die EU-Unterstützung in dieser Sache verlieren, wenn sich die Regierung nicht sehr bald mit den spanischen Partnern in allen Punkten einige. Der Gesamtwert des Vertragsumfangs soll sich auf 600 Millionen Euro belaufen. Noch immer wurden Einzelheiten zu den angeblichen Änderungen im Vertrag mit der CAF nicht veröffentlicht - die ja angeblich längst als Gewinnerin der Ausschreibung zu dem Projekt galt (und dabei den ursprünglichen Favoriten, die Firma "Bombardier", verdrängte). Wie kann man eine Ausschreibung als beendert erklären, danach aber vertraglich zugesagten Bedingungen als "ungünstig" für die lettische Seite erklären? Das ist wohl nur mit der lettischen Art des Bahnfahrens - mit vielen Zwischenstopps und Wechsel der Lokführer sozusagen - zu erklären.
Aus lettischer Sicht wichtig wird es sein, dass RVR weiterhin Züge und Waggons in Lettland bauen kann, und diese auch dem osteuropäischen Markt anbieten kann - in den vergangenen Jahren hatte RVR ähnliche Projekte mit Finnland, Georgien, Litauen, Estland, Russland und Georgien erfolgreich durchführen können. Die nächsten Monate werden zeigen, ob diese Arbeitsplätze und damit die lettische Waggonbautradition gesichert werden können.

Diplomatisches Wiedersehen

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Für Hagen Graf Lambsdorff, den ersten deutschen Botschafter in Riga nach Wiedererlangung der Unabhängigkeit Lettlands, war es 1991 ein Wiedertreffen mit einem Land, in dem ein Teil seiner Vorfahren lebte. Der nächste Generationswechsel ist hier wohl schon vollzogen: inzwischen ist Sohn und EU-Abgeordneter Alexander Graf Lambsdorff wohl in der Öffentlichkeit bekannter als der Vater.
verblichene Fotos & aufpolierte Aufgaben
Aber in Riga gibt es auch einen Generationswechsel: neue deutsche Botschafterin ist eine Frau, die als Kulturattaché am Aufbau der Botschaft in Riga zwischen 1992 und 1995 beteiligt war: Andrea Wiktorin.
Ob die Ex-Kulturbeauftragte nun in Riga auch über "alte Zeiten" nachsinnen wird? Das jetzige schmucke, aber auch abgeriegelte Botschaftsgebäude am Raina Bulvaris 13 wurde erst 1997 bezogen. Davor - das waren die Zeiten eines ersten Provisoriums im Hotel Ridzene (heute: Radisson Blu Ridzene), wo Botschaftsmitarbeiter Gäste auch schon mal auf dem Hotelbett sitzend empfingen, und später dann im dritten Stock eines Gebäudes am Aspazijas bulvaris, als zeitweise Hunderte von Metern über Treppen und Bürgersteige Menschen nach begehrten Visumstempeln anstehen mussten. 
Auch die Altstadt in Riga sah damals noch anders aus: kaum Edelrestaurants und Nachtbars, dafür aber noch Galerien (M6 !) und Buchläden.
Aber ich denke, Riga empfängt "Wiederholungstäter" gern - denn mit Zwischenstationen in Belarus und Armenien, im Auswärtigen Amt teilweise zugeordnet dem Referat "Russland und GUS", oder als Jurymitglied zur Verleihung eines Preises für deutsch-russisches Bürgerengagement (Robert-Bosch-Stiftung) wird der Blick auf Lettland heute sicherlich durch vielfältige Fassetten inzwischen angereichert sein. In Armenien ist Frau Wiktorin unter anderem "Baumspenderin" geworden (20 Bäume für den Erhalt der Natur Armeniens) - dieses Maß an Engagement sollte sich doch für die kommende Zeit in Lettland mindestens auch erreichen lassen.

Im Ausland arbeiten, zu Hause verarzten

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Alte Zeiten
Über das lettische Gesundheitssystem ließe sich manches erzählen, und das hat auch mit dem Wandel der Zeiten zu tun. In den stürmischen Zeiten der lettischen Unabhängigkeitsbewegung war es noch möglich, lettische Gäste zum deutschen Hausarzt zu schicken, wenn der Gastgeber dafür bürgte: Gast auf Gastgebers Krankenschein, sozusagen.
Inzwischen schauen deutsche Ärzte ihre Kunden schon sorgenvoll an, wenn sie von Reisen nach Osteuropa erzählen - denn manche Dienstleistung ist dort weitaus preisgünstiger zu haben als bei Ärzten in Deutschland.
Und auch die Fälle lettischer Patienten im Ausland sind inzwischen nichts ungewöhnliches mehr - einer der bekanntesten war im vergangenen Jahr der Rigaer Bürgermeister Nils Ušakovs, der nach einem Marathonlauf zusammenbrach und sich anschließend in der Berliner Charité einer teuren Spezialbehandlung unterziehen musste (zur Kostendeckung wurden Spenden gesammelt). Auch Ex-Präsident Zatlers nach einer in den vergangenen Monaten bekannt gewordenen Erkrankung  wahrscheinlich ähnliche Dienste in Anspruch nehmen.

Unterschiedliche Reiseziele: der Weg zur Arbeit,
der Weg zum Arzt
Neue Trends
Was nun aber in der lettischen Presse bekannt wurde, ist als Massenphänomen noch neu in Lettland (siehe IR, . Ärzte in Lettland sollen bei ihren Abrechnungen über 200.000 behandelte Patienten mehr angegeben haben, als in Lettland überhaupt noch gemeldet sind. Die im Jahr 2011 durchgeführte Volkszählung wies eine Bevölkerungszahl von 2.070.371 in Lettland gemeldeten Einwohnern aus. Auch das könnte schon möglichst positiv gerechnet sein, denn Lettland hat kein Interesse, die eigene Einwohnerzahl möglichst kleinzurechnen.
Lettische Ärzte bekommen ihr Entgelt pro Patient, plus Art der Behandlung, mulipliziert mit einem festgelegten Faktor. Die jetzt bekannt gewordenen ärztlichen Abrechnungen sind aber keineswegs gefälscht - die Patienten existieren tatsächlich. Wie es aussieht, lassen sich viele Lettinnen und Letten, die mangels Jobmöglichkeiten in Lettland als Arbeitsmigrant/innen ins Ausland gehen, weiterhin "zu Hause" bei Ärzten in Lettland behandeln. Momentan sieht die lettische Gesetzgebung noch vor, dass für die Gesundheitsversicherung lettischer Bürger ihr Staat zuständig ist, erläutert die lettische Gesundheitsministerin Ingrīda Circene. Im Gegensatz zum Beispiel zum Nachbarland Estland, das mit Finnland Abkommen über den Ausgleich finnischer Arztrechnungen geschlossen hat, ist in dieser Hinsicht in Lettland bisher noch nichts geschehen. Am liebsten würde sie, so verrät die Ministerin, die fälligen Arztrechnungen denjenigen Ländern schicken, in denen die Letten legal (als versichert) arbeiten. Aber ob sich das realisieren läßt?

Wem der gegenwärtige Zustand nutzt? Den Ärzten in Lettland schadet es wohl kaum - und kaum ein Arztbesuch ist kostenfrei, für vieles sind Zuzahlungen fällig (diese machen rund 20% der Gesamtfinanzierung aus, so ist es auf einer Infoseite der AOK nachzulesen). Aber das Gesundheitsministerium arbeitet derzeit an Gesetzesänderungen, die eine staatlich finanzierte Gesundheitsvorsorgen, gekoppelt an die Einkommenssteuer vorsehen (siehe Pressemitteilung). Alle, die davon nicht erfasst werden, sollen dann monatlich etwa 20 Lat (ca. 30 Euro) zusätzlich zahlen. Dieses neue System könnte dann im Juli 2013 in Kraft treten, denn die jährlichen Datenübersichten werden bis zum 1.April des jeweils kommenden Jahres erhoben, also bis zum Juli könne man startklar sein, meint die Ministerin, sofern das Finanzministerium diesem Vorschlag zustimme. Natürlich stünde es denjenigen, die im Ausland arbeiten auch frei, sich privat zu versichern, meint Ministerin Circene. In den lettischen Medien sind allerdings auch Leserreaktionen zu lesen, die befürchten, alle Bemühungen die im Auslnad arbeitenden und lebendeen Letten zur Rückkehr zu bewegen seien umsonst, wenn der Staat andererseits dann solcherart Verbindungen zur Heimat zu kappen bemüht sei.

Infoquellen zum lettischen Gesundheitssystem:
Infoseite der AOK / Deutsches Ärzteblatt / Bundesgesundheitsministerium /
Gesellschaft für Außenwirtschaft /

Jenseits von Olympia ...

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Während in London die Olympiade beginnt, ist für den Letten Alexandrs Briedis die Organisation von Sportaktivitäten bereits seit Jahrzehnten Alltag. Wer den rüstigen 74-jährigen zum ersten Mal sieht mag vielleicht für einen Moment lang denken: was macht so ein alter Herr unter so vielen jungen Leuten? Aber wer genauer hinsieht, wird schnell feststellen: mit allen Anwesenden gleich welchen Alters geht Briedis vertraulich um, ist stets als erster am Ort des Geschehens, informiert nachsichtig, aber mit fester Stimme Regelunkundige, und so wird klar: es muss sich hier wohl um einen echten "Spiritus rector" handeln.

Aleksandrs Briedis im Einsatz
Treffen wird man Alexandrs Briedis in diesem Sommer vielleicht in einem der Parks oder den angrenzenden Erholungsgebieten in und rund um Riga: montags auf der Kartbahn im Wald von Biķernieki, mittwochs im Uzvaras Park, donnerstags im Park von Bieriņi am Flüsschen Mārupīte, und freitags im Mežapark. Briedis organisiert Fahrrad-Wettbewerbe für Kinder und Jugendliche, und hat ein einzigartiges Motto dafür gefunden: "Nekur Eiropā – tikai Latvijā Riteņvasara visdemokrātiskākās sacensības" (nirgendwo in Europa - die aller-demokratischten Wettbewerbe, nur in Lettland). Wer Briedis beim Organisieren zusieht, bekommt bald einen Eindruck davon, was er unter "demokratisch" versteht: jede und jeder bekommt eine Chance, die Antrittsgelder sind gering oder ganz erlassen (die Siegerpreise entsprechend von Firmen gesponsert), kleinere Kinder bekommen es nur mit etwa gleichstarken Altersgenossen zu tun. Und sind einmal nicht genug ehrenamtliche Helfer an den Stellen wo sie gerade gebraucht werden, ist Aleksandrs Briedis auch schon mal mit Trillerpfeife, Magaphon, Start- und Zielflaggen und mehreren Taschen gleichzeitig beladen zu sehen. Der Wettbewerb muss schließlich weitergehen - und ordnungsgemäß zu Ende geführt werden.

lettischer Sportlernachwuchs
Briedis' Einsatz hat inzwischen bereit mehrere Jahrzehnte Tradition. Nachdem er 1962 an der Universität in Riga seinen Abschluß als Jurist gemacht hatte, begann er seine Arbeit beim Auto-Motor-Klub in Bieriņi (einem Stadtteil im südlichen Riga). Außerdem arbeitete er in der heute legendären Mopedfabrik des "Sarkana Zvaigzne" ("Roter Stern", ehemals Ērenpreiss", dann Rīgas velosipēdu rūpnīcu RVR). Bereits zu Schulzeiten hatte Briedis sich als Bastler an Mopeds und Fahrrädern hervorgetan, als Student organisierte er Lettlands ersten Moto-Ball Wettbewerb (Ballspiel mit Mopeds, siehe auch www.motoball.de). Unter dem Dach der DOSAAF (eine Art "Armeesportklub" der technischen Hochschulen) gelang es Briedis zusammen mit einigen Freunden schon 1958 einen Motorsportklub in Riga zu gründen.
ein Fotos aus der lettischen Sportgeschichte

Seit 1961 gibt es Wettbewerbe auch für Geländemotorräder, seit 1964 die Wettbewerbe auf den Trassen von Baldone und Bieriņi für Kinder und Jugendliche. Und gleichzeitig wurde auch "Skijoring" wiedergelebt (von „Skijöring“ / Skikjøring aus dem Schwedischen / Norwegischen) - Skifahren mit Seil angespannt an Autos, Motorräder oder Pferde. Etwa 1000 Skijoring-Sportlerinnen und -Sportler soll es in den 80er Jahren in Lettland gegeben haben.

"Aleksandrs kontrolliert die Mopedmanie" schrieb die Zeitschrift SPORTS einmal über die vielen Aktivitäten von Aleksandrs Briedis."Er hätte auch ein berühmter Anwalt werden können", spekulierten die lettischen Sportjournalisten, "statt dessen feiert auch der von ihm ins Leben gerufene Wettbewerb des 'Goldenen Mopeds' in diesem Jahr schon ihr 40.Jubiläum." Das war 2011. Briedis meinte einmal zu seiner möglichen juristischen Karriere dass die entsprechenden Kenntnisse ihm damals sicherlich auch geholfen haben, Genehmigungen für die verschiedenen bis dahin nicht praktizierten Sportarten und eingesetzten Maschinen zu bekommen. Wechselweise seien den Gründern damals mal anti-sowjetische Aktivitäten, mal unmoralische Angebote für die Jugend mit kapitalistischer Charakteristik vorgeworfen worden, erzählt der Sportveteran. Auch heute noch sei es wichtig, Kindern und Jugendlichen etwas anzubieten, wo wie sich köperlich draußen bewegen können, oder wo sie eben ihre Fahrsicherheit testen können.

Gebt mir ein Sportgerät!
 Auch mit dem Jugendhaus "Anna 2" arbeitet er inzwischen zusammen und organisiert Fahrrad- und Moped-Wettbewerbe. Und wer so bekannt ist, darf sich auch nach Jahrzehnten voller Aktivitäten nicht vor allerlei Anfragen scheuen. "Neulich nahm mein sechsjähriger Junge an dem Radrennen im Uzvaras-Park teil", fragt eine besorgte Mutter auf dem Portal "Ritenvasara" an, "wie kann es sein, dass er in der Erwachsenengruppe starten musste?" - Nein, alles wird seine Ordnung haben. Solange Alexandrs Briedis dabei ist, werden die Fragen beantwortet werden, Teilnehmer gesichtet und zum Start bereit gemacht, und alle Rennen gerecht für alle durchgeführt. Fast jeden Tag an einem anderen Ort in Riga, Woche für Woche. Lai veicas!

Mehr über Aleksands Briedis (engl.) / Zelta mopēds / Fahrradwettbewerbe "Riteņvasara"

Nauda's Geburtstag

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Während andere in Europa offenbar entweder auf das Ende der gemeinsamen Währung Euro warten, darauf hoffen, oder es gar herbeisehnen, wird in Lettland erstmal Geburtstag gefeiert. Am 3.August 1922, also vor 90 Jahren, wurde die lettische Währung LAT eingeführt.

Geldscheine mit Worten in drei Sprachen:
Lettisch, Russisch, Deutsch (Abbildungen:
Angebote einger Sammler aus dem Internet)
Mit Beginn des Ersten Weltkriegs hatte zunächst eine chaotische Periode wirtschaftlicher Turbulenzen begonnen - als unabhängige demokratische Republik wurde Lettland ja am 18.November 1918 erstmals proklamiert.
Es herrschte zunächst eine Phase in der sehr verschiedene Währungen im Umlauf waren: russische Rubel (Kerenski-Rubel), russische Kreditanleihen, Goldrubel, deutsche Reichsmark, eigens im besetzten Gebiet "Ober-Ost" eingeführte "Ostmark", auch Ost-Rubel. Einige kurzzeitig existierende Arbeiterräte gaben eigene Anleihscheine heraus (z.B. in Cēsis), und es gab sogar eigene Noten oder Schuldbriefe, die von den Stadtverwaltungen in Jelgava, Liepaja, Ventspils und Riga herausgegeben wurden. Auch Bermondt-Awaloff wiederum druckte in Jelgava noch seine eigenen Scheine.

Stabilität gesucht - und Name
Im Januar 1919 beschloss die lettische provisorische Regierung, die sich zu der Zeit in Liepaja aufhielt, die Staatskasse möge abgesichert durch das gesamte Staatseigentum eigene Noten in Rubel und Kopeken ausgeben, die zunächst an die Stelle des bisherigen Geldes treten sollten. Am 16.Juli 1919 wurde dann festgelegt, das die Währung in Lettland der Lat sein möge, gebunden an den Goldpreis. Der Name wurde abgeleitet von der lettischen Bezeichnung für Lettland: "Latvija". Die "Lati" hatten allerdings anfangs viele Gegner - die einen meinten die Bezeichnung bei Zimmerleuten, die anderen im bäuerlichen Alltag schon anders in Gebrauch zu kennen. Das lettische Museum für Geschichte hat alle damaligen Alternativvorschläge zur Bezeichnung des neuen Geldes dokumentiert: Velta-Imanta, Līga-Daila, Saule-Austra, Latva-Oma, Dižā-Sīkā, Ozols-Zīles, Pūķis-Rūķis. Dichter und Schriftsteller Karlis Skalbe soll eine eigene Idee vertreten haben; nach seiner Meinung könne die lettische Währung Lat und die Untereinheit "grasis" heißen (übersetzt eigentlich = "Groschen").

Rubel der lettischen Staatskasse
Anfangs wurde also so etwas wie ein "lettischer Rubel" eingeführt, der einfach "Lat" genannt wurde, obwohl diese Scheine weiter Rubel und Kopeken aufwiesen. Am 18.März 1920 wurde diese Währung zum auf lettischem Staatsgebiet alleinig gültiges Zahlungsmittel erklärt. Die lettischen Historiker erklären heute die damaligen Scheine zu kulturhistorisch besonders interessanten Exemplaren, da sie allesamt von anerkannten lettischen Künstlern gezeichnet wurden: die 1 Rubel-Note von Kārlis Mendziņš, die 5 Rubel von Ansis Cīrulis, die 10 Rubel von Vilhelms Krūmiņš, die 25 Rubel von Jānis Aleksandrs Liberts und Kārlis Mendziņš, die 50 Rubel von Jānis Aleksandrs Liberts, die 100 Rubel von Hermanis Grīnbergs; die 500 Rubel von Rihards Zariņš. Die 5, 10, 25 Papierkopeken wurden von Rihards Zariņš gestaltet, die 50 Kopeken von Alberts Prande.

schön bunt, und jeder Schein verschieden:
die Vorläufer des Lats
Aber der Wert dieses "Lat mit Rubelwert" begann zu fallen, so dass sich der damalige lettische Finanzminister Ringolds Kalnings versuchte durch strenge Sparmaßnahmen den Haushalt auszugleichen. Zunächst wurde versucht die Währung durch Ankoppeln an Goldfranken zu sichern, Erst am 3.Januar 1922 beschloss das Ministerkabinett, dass künftig auch der auf den lettischen Geldscheinen aufgedruckte Wert nur noch "Lat" heißen sollte, die Untereinheit "Santimi". Und am 3.August 1922 - vor 90 Jahren - veröffentlichte dann die Regierung die genauen Bestimmungen zur Währung "Lat" und schloß damit dessen Einführung ab. Der Wert wurde an den damaligen Goldwert angebunden: 1 lats = 0.2903226 Gramm Gold. 50 bisherige lettische "Rubel" konnten gegen einen Lat eingetauscht werden, das war der festgelegte Wechselkurs. Im November desselben Jahres nahm dann die lettische Staatsbank ihre Arbeit auf.

Die zuerst provisorisch ausgegebenen Rubel-Geldscheine waren noch bis 1925 im Umlauf und konnten noch bis zum 1.4.1931 in Lat umgetauscht werden.
(zusammengestellt nach Informationen des lettischen Museums für Geschichte und verschiedenen Beiträge in lettischen Medien)

Interessant ist vielleicht auch die Geschichte zur Entstehung der ersten Goldreserven des unabhängigen Lettlands. Seit 1920 gab es einen Aufruf zur freiwilligen Spende von Schmuck und anderen Wertsachen. Als am 1.November 1922 die lettische Staatsbank /Nationalbank gegründet wurde, gingen diese Spenden in ihren Besitz über: gemäß lettischer Quellen waren das 99 Kisten, sechs Koffer, drei Körbe und eine Tasche voll Wertsachen. So kamen die ersten lettischen Goldreserven zustande.

Speer oder Strand?

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Lettischer Beach - an dieser Stelle noch vonVolleyballern verschont ...
Lange musste Lettland auf Olypiamedaillen warten - kurz vor Schluß des Spektakels 2012 in London reißen es die neuen Stars des lettischen Sports heraus; die Beach-volleyballer Mārtiņš Pļaviņš und Jānis Šmēdiņš. Werden nun  die romantischen lettischen Sandstrände von jugendlichen Nacheiferern bevölkert werden? Der Sieg der lettischen Strandbaggerer hat vielleicht zwei Aspekte: Lettland blieb einerseits die Frage erspart, ob dieses kleine Sportland im internationalen Wettbewerb noch mithalten kann. Andererseits können auch nur solch hervorstechenden Erfolge genug Begeisterung beim Nachwuchs erzeugen, der dann den Sport im eigenen Lande stärken kann. Das Gegenbeispiel wäre der litauische Schwimm-Jungstars Meilutyte: erst auswandern (sie lebt mit ihrem Vater in England), dann Gold heimbringen. Nutznießer des lettischen Strandbronze wird, einer Pressemitteilung des lettischen olympischen Komittees zufolge, auch der lettische Volleybandverband sein: eine finanzielle Unterstützung von 25.000 Lat (ca. 38.000 Euro) sei von Regierungsseite angekündigt worden.

Gewöhnlich sind es oft die Speerwerfer, auf denen die meisten Hoffnungen liegen (schon 1972 war das so, als Jānis Lūsis um nur 2cm gegen Klaus Wolfermann den Olympiasieg verpasste). Auch war der lettische Werfernachwuchs gleich mit sechs (!) Speer-Spezialisten in London vertreten, und beim Qualifikationswettkampf der Speerwerferinnen am Dienstag schaute der lettischen Regierungschef Valdis Dombrovkis gleich mal vorbei. Er sei überzeugt, so Dombrovskis, dass die erfolgreichsten lettischen Olympiastarter als Anerkennung auch Geldprämien erhalten werden, so wird er in der lettischen Presse zitiert. Aber wie ein Optimist wirkt ein Regierungschef nicht gerade, wenn er den Besuch "seiner" Athleten schon in den Vorkämpfen terminiert - ob er hofft, 100.000 Lat Prämie, die das Ministerkabinett für einen Olympiasieg ausgelobt hatte, nicht auszahlen zu müssen? Oder lag es eher daran, dass Mr. D. in Zeitnähe das Tennisfinale in Wimbleton besuchen konnt? Nein, ganze neun Tage hielt sich Mr. D nebst Frau am Olympiaschauplatz auf. Typisch inzwischen für den Umgang lettischer Medien mit Politikerreisen übrigens, dass Kosten der Flüge, Hotels und sonstigen Ausgaben offen in der Zeitung nachzulesen sind (auch, dass Ehepaar D. die Flugtikets selbst zahlte). Von den Speer-Kämpfern schaffte es jedenfalls nur eine bis ins Finale: Madara Palameika wurde achte.

Gute Grundlage für sportliche Erfolge: wer will,
hat in Lettland einen Strand für sich allein.
Schmücken mit erfolgreichen Sportlern will sich indessen auch Dombrovskis politischer Konkurrent und Rigaer Bürgermeister Užakovs. 17 der 46 in London vertretenden lettischen Sportler kämen schließlich aus Riga, meint Užakovs, und kündigte für Platzierungen bis zu Platz 10 eigene Geldprämien an.


Vielleicht wird an den einsamen lettischen Stränden nun mehr Volleyball geübt? Oder in Rigas Innenstadt Beach-Arenen künstlich aufgeschüttet? Für einige Tage begeisterten die lettischen Strandvolleyballer die lettischen Medien - 8,8% Einschaltquote und 180.000 Zuschauer verzeichneten die lettischen Fernsehsender während der Übertragungen von den Spielen der lettischen Beach-Teams. Abgesehen davon konzentrierte sich die Gunst der Fernsehzuschauer auf Leichtathletik, Schwimmen und Gewichtheben - Gewichtheber Artūrs Plēsnieks erreichte immerhin einen siebten Platz. Und beim Sprung in die Sandkiste verpasste Ineta Radeviča (Europameisterin von 2010) ihren lettischen Rekord um vier und den Bronzeplatz nur um einen einzigen Zentimeter. Gut gehüpft - dennoch knapp vorbeigesprungen.

Regierungschef Dombrovskis kündigte bei seinem Besuch in London auch die Verbesserung sportlicher Trainingsmöglichkeiten in Lettland an - nannte als Beispiel allerdings die Bob- und Rodelanlage in Sigulda, und das freut Sportler die in London wohl kaum anzutreffen waren. Vadims Vasiļevskis hingegen, einer der drei erfolglosen Speerwerfer der Männerkonkurrenz, kündigte zu Saisonende das Ende seiner Karriere an. Grund: Er könne die Kosten des Trainings nicht mehr bezahlen und sehe angesichts der momentanen Erfolgs-Flaute seiner Sportart keine Chancen auf anderweitige Finanzierung. 
Die heimische Presse schaut jedenfalls so genau wie in anderen Ländern auch auf den Medaillenspiegel: seit Wiedererlangung der Unabhhängigkeit hat Lettland bei Olympischen Sommerspielen immer Medaillen errungen: in Baracelona 1992 zweimal Silber und einmal Bronze, in Atlanta 1996 eine Silbermedaille, in Sydney 2000 und Peking 2008 je einmal Gold Silber und Bronze, und in Athen 2004 dreimal Silber. 
 Ob die neue lettische Mode-Sportart Beachvolleyball allein im Glanz der Medaillen scheinen wird, zeigt sich in den restlichen drei Tagen. Es steht noch die lettische-Modesportart von 2008 in Peking an: damals gewann Maris Strombergs Gold im BMX-Radwettbewerb, heute stehen alle drei lettischen Teilnehmer (einschließlich Strombergs) in London im olympischen Halbfinale. 

Nachtrag 10.August nachmittag: Auf Strombergs zu setzen war ganz richtig. Strand oder Speer? Auch Radfahren kann nicht schaden :-)

Wundersame Souvenirs

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"historische" Souvenir-Varianten Anfang der 90er Jahre:
lettisch Traditionelles, fremdsprachlich beworben
Gäste können in Lettland sicherlich auf sehr verschiedene Ideen kommen, welche Mitbringsel oder Souvenirs für die Bekannten und Freunde daheim, oder für die eigene Urlaubserinnerung geeignet sind. Ob handgestrickte Socken oder Handschuhe, Schwarzen Balsam oder Riga Sekt, Töpferwaren oder Bernsteinschmuck: der Markt passt sich den Kundenwünschen an, Stück für Stück.

Es könnte ja auch eine Schachtel aus dem Süßwarenregal sein - so wie dieses gute Stück, dass mir vor ca. 20 Jahren als "Wegzehrung" geschenkt wurde.
Damals hieß die produzierende Firma noch "Uzvara" ("Sieg"), und hoffte auch beim Kampf um die nun mit gespannter Erwartung ersehnten West-Touristen Erfolge erringen zu können. Aus diesem Gedanken heraus entstand wohl eine Mischung aus patriotischer Darstellung der vier lettischen Regionen (mit einer Karte sämtlicher Grenzen aller lettischen "Pagasti"!), und zuvorkommender Erklärung für wahrscheinlich zweifelnde fremdsprachliche Kunden. Folgende Erläuterung fand sich hinten auf der Packung:
Ja, damals warnten manche in Deutschland verfasste Reiseführer noch vor dem Gebrauch von Frischwasser aus dem Kran, vor dem Baden in der Ostsee, vor Taschendiebstahl allerorten, illegalen Geldwechslern auf den Straßen und vor möglicherweise mafiösen Strukturen. Nicht immer waren so pauschale Warnungen - offenbar vorsorglich geschrieben angesichts vermuteter "Stammleserschaft" - gerechtfertigt. Heute sowieso nicht mehr - obwohl ein Wundermittel, dass "Radioaktivität aus dem Organismus entfernt" ja ganz wünschenswert wäre. Ob diese Info nur auf der Packung mit der Bezeichnung "Latgale" zu lesen war (also speziell für die Menschen rund um Daugavpils gedacht war?) ist mir nicht bekannt. Tatsache aber ist, dass die Forderungen der Anti-Atombewegungen nach "Abschalten der Atomkraftwerke" die lettische Unabhängigkeitsbewegung nicht lange mehr dominierten, nachdem die staatliche Selbständigkeit erst einmal wieder erreicht war. Zwei neue, sicherlich aus dem ehemals bewunderten Westen übernommene Grundprinzipien hielten Einzug in der lettischen Politik: erstens, erfolgreich Geschäfte machen ist das Größte (denn der Staat wird dir nicht helfen); zweitens, Hauptsache die Steckdose ist nicht von russischen Quellen gespeist (denn Russland möchte angeblich die "verlorenen Gebiete" dominieren und so beherrschen).

"Marmalāde" in moderner Variante
Heute könnten Touristen, die nach ähnlichen Leckereien Ausschau halten, natürlich noch genauso Packungen mit der Bezeichnung "Marmalāde" finden (siehe Abbildung). Bei der Inhaltsangabe sind heute "Lebensmittelfarbstoffe" durch "20% Fruchtsaft" ersetzt - ohne Erläuterung, dass vielleicht dieser Fruchtsaft gesünder sein könnte als das ebenfalls enthaltene Pektin. Na gut, wie die obige Abbildung der damaligen Version ja zeigt, war der Hinweis auf die Bekämpfung möglicher schädlicher Wirkungen von Radioaktivität ja offensichtlich sowieso nur für deutschsprachige Gäste wichtig (in den lettisch- und englischsprachigen Texten fehlte sie).
Also hier meine moderne Fassung der Erläuterung, nur für Deutschsprachige: Achtung, lettische Politiker haben sich nach wie vor nicht entschieden, ob sie nun die Gefahren der Atomkraft eindämmen wollen oder nicht - eine kostenfressende und damit für die Entwicklung nachhaltig umweltfreundlicher Energieerzeugung hinderliche Beteiligung an neuen Atomanlagen ist nach wie vor möglich: nur wenige Kilometer hinter der lettischen Grenze. Lassen Sie sich daher die in Lettland angebotenen Süßigkeiten so lange schmecken, wie es eben geht.

Ungleiche Löhne

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Eine immer wiederkehrende Frage: wieviel verdient jemand in Lettland so durchschnittlich? Eine immer wiederkehrende Antwort: viele haben nicht einen, sondern mehrere Jobs um über die Runden zu kommen. Was schon etwas aussagt: vergleichbar mit Deutschland sind die Löhne gering, und eine "feste" Anstellung ist oft noch keine Lebensperspektive.

Aber auch zwischen einzelnen Branchen und in verschiedenen Regionen gibt es große Unterschiede. Hier ein paar Zahlen, zusammengestellt IR (Ausgabe 15.8.12). Die Zahlen beziehen sich auf den Monatslohn nach Abzug von Steuern. 

Durchschnittseinkommen nach Branchen: 
Flugverkehr - Ls 1101
Telekommunikation - Ls 774
Finanzdienstleistungen - Ls 739
IT, Computerprogrammierung - Ls 634
Wissenschaftliche Arbeit - Ls 532
Büro / Verwaltung - Ls 409
Waldwirtschaft - Ls 374
Gesundheitswesen - Ls 337
Abfallsammlung und Verwertung - Ls 328
Bauwesen - Ls 319
Kunst, Unterhaltung, Freizeitindustrie - Ls 280
Pflanzenzucht, Tierzucht - Ls 267
Einzelhandel - Ls 243
Restaurants, Kantinen - Ls 213
Textilindustrie - Ls 211
(1 Lat = ca. 1,44 Euro)

Durchschnittseinkommen nach Regionen in Lettland (Quelle: Lettisches Statistikamt, Stand Juni 2012, in Klammern Vergleich zu Juni 2011)
Lettland insgesamt - 485 (468)
Riga -  552 (535)
Region Riga - 463 (439)
Vidzeme - 373 (369)
Kurzeme - 422 (405)
Zemgale - 405 (388)
Latgale - 340 (332)

25,8% der Arbeitenden und Angestellten beziehen einen Lohn, der dem lettischen Mindestlohn oder weniger entspricht.

Wofür geben die Privathaushalte ihr Geld aus? 
Die Deutschen wohnen teuer, den Letten reicht das Geld so grade zur Ernährung
(Basis: Daten des lettischen statischen Landesamts 2012, Statistisches Bundesamt 2008)
Gesamt = 100% = LV = D
Lebensmittel und nichtalkoholische Getränke = 28.8% = 14,3%
Alkohol und Tabak = 3.4% = (in D in den 14,3% bereits enthalten)
Kleidung und Schuhe = 5,5% = 4,7%
Wohnen, Energie, Wohnungsinstandhaltung = 16,6% = 32,6%
Inneneinrichtung, Haushaltsgeräte = 4,1% = 5,0
Gesundheit = 6,1% = 4,2%
Verkehr = 12,4% = 14,6%
Kommunikation = 4,9% = 2.9%
Freizeit, Kultur, Unterhaltung = 6,7% = 11,4%
Bildungswesen = 1,5% = 0,9%
Beherbergungs- und Gaststätten-Dienstleistungen = 4,4% = 5,0%
sonst. Waren und Dienstleistungen = 5,6% = 4,4%

Russischer Stil: zahlen und schweigen

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"Lettische Banken werden zu Magneten für russische Auslandsgelder" titelten kürzlich deutschsprachige Zeitung wie DIE WELT und NZZ(beide unter Bezug auf die Finanzdatenagentur Bloomberg). Wie sieht es im Detail aus mit Aktivitäten von Geschäftsleuten aus Russland in Lettland? Auch die Zeitschrift "IR" brachte einen Bericht. Dort werden unter anderem lettische Bankangestellte zitiert, die von Kunden aus Russland berichten. Kunden aus Russland würden große Summen Geld in Lettland einzahlen unter der Bedingung, dass die Bank in gar keinem Fall mit ihnen direkt, weder telefonisch noch per Email, in Kontakt trete. Typische Reaktionen auf russische Geschäftstätigkeit in Lettland sind Aussagen in lettischen Internetforen ähnlich wie diese: "mit jedem an Russland verkauften Unternehmen verlieren wir ein Stück unserer Unabhängigkeit."
Unterdessen gibt es aber auch Russen, die einfach die seit 2009 gültige Regelung wahrnehmen wollen, die ab einer bestimmten Investitionssumme den Investoren eine Aufenthaltsgenehmigung in Lettland zusagt. Gerne wird auf dem Immobilienmarkt investiert. In Ruhe in Lettland die Zeit verbringen mit der Familie, zum Beispiel in traditionell bei Russen beliebten Orten wie Jurmala - auch das kann ein Ziel sein.

Lettland: für russische Investoren ein Land des Lächelns -
oder nur Ort für strategisch "geparkte" Gelder?
Als Beispiel russischer Geschäftstätigkeit in Lettland könnte Multimillionär Andrejs Beshmeļņicki* gelten. Er vereinigte die beiden lettischen Firmen " Rigas Piena kombināts" und "Valmieras piens" in seinem Konzern "Food Union". In der lettischen Presse wird bereits darüber spekuliert, ob er nicht in ein paar Jahren alles zusammen für gutes Geld einem internationalen Konzern wie "Danone" verkaufen wird.
Beshmeļņicki gehört zu der Gruppe Russen, die in Lettland ganz öffentlich auftreten. "Mir und meiner Familie gefällt es hier", sagt er, "und wir verbringen auch ziemlich viel Zeit in Lettland." (Zitat nach "IR")

Allein in den Jahren 2009 bis 2012, nach Einführung von entsprechenden Steuererleichterungen in Lettland für Investoren, soll sich die Zahl der wegen Investitionen nach Lettland eingereisten Russen vervierfacht haben (179 im Jahr 2009, 806 im Jahr 2011). Dennoch gehen Schätzungen weit darüber hinaus, denn viele legen wenig Wert darauf, dass Herkunft der Finanzen und Personen ganz öffentlich werden - und registrieren die Unternehmen, die in Lettland tätig werden, beispielsweise in Zypern.

Unternehmer wie Beshmeļņicki schätzen an Lettland, dass es einerseits den Einstieg in die Europäische Union und den Europäischen Markt bietet, andererseits auch russisch gesprochen wird.

Ex-Qualitätsmarke mit unklarem
Gegenwartswert: "Triāls"
Sergejs Čerņins*, Inhaber der SIA "GasInvest", steht angeblich kurz vor dem Kauf von "Triāls", dem ehemaligen Fleischkombinat von Valmiera, einem der bisher größten Produzenten von Fleisch- un d Wurstwaren in Lettland ("IR"). Die 1926 gegründete "Triāls" hatte zuletzt 2009 Steuerschulden von über 1.5 Mill. Lat nicht zahlen können und war geschlossen worden, 200 Angestellte wurden arbeitslos, die Firma ging in das Eigentum von "Latektus", einer Tochter der SEB Bank, über. Geklagt wurde damals auch über das Diktat der Supermarkt-Ketten, die niedrige Preise verlangten, oder andernfalls die Waren aus den Regalen nehmen würden.
Um heute nun solches Kaufinteresse an Firmeneigentum und Gelände zu begründen, reicht es offenbar, in Lettland eine "SIA" - ähnlich einer deutschen "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" - zu bilden. Wie die Recherchen der Zeitschrift "IR" ergaben, ist der Eigentümer der "GasInvest" identisch mit dem Eigentümer der russischen "GazEnergoStroi", die bisher an Projekten im Bereich der Energiewirtschaft in Russland, Ost- und Westeuropa beteiligt war.



Schwierigkeiten wie in Russland werden Firmen wie "GasInvest" in Lettland wohl nicht zu erwarten haben: in der Olympiastadt Sochi gab es Proteste gegen den Bau einer vom Mutterkonzern "GazEnergoStroi" beantragten Anlage die darin mündeten, dass Farbe und Zement in Baufahrzeuge und Fahrerkabinen geschüttet wurden. Wütende Bürger, oder neidische Konkurrenz? Oder erneut ein Problem der Nachwirkungen des brutalen Umgangs mit Minderheiten und ethnischen Gruppen in der (Sowjet-)-russischen Vergangenheit? (siehe Beitrag Deutschlandradio vom 10.8.). Im Agrarbereich gibt es Projekte zum Bau von Biogasanlagen der selben Firma, auch mit deutschen Partnern. Einige der Projekte von "GazEnergoStroi" in Russland stehen offensichtlich unter der Protektion des russischen Präsidenten.

Noch nicht ganz klar scheint aber zu sein, ob in Valmiera tatsächlich die bisherige "Triāls"-Produktion wieder aufgenommen wird, oder nur das 12ha große Gelände den russischen Investoren für andere Projekte zur Verfügung gestellt wird (siehe Dienas Bizness). Jānis Baiks vom Stadtrat Valmiera glaubt, die Russen würden sich noch gut an den Räucherschinken aus Valmiera erinnern, und in der Zukunft vor allem Waren nach Russland importieren wollen (siehe "Kas Jauns"). Ob das Projekt sich als Auffrischung der lettischen Lebensmittelindustrie, oder die Immobilie sich nur als Spekulationsobjekt erweisen wird, muss die Zukunft zeigen.

Das manche Ängste vor allzu großem russischen Einfluß auch unbegründet sind, zeigt ein Blick auf die Statistiken von Geschäftsgründungen kleiner Firmen (SIA, siehe oben), die mit Investitionssummen ab 2000 Lat Grundkapital eröffnet werden können. Von 1714 ausländischen Staatsbürgern, die in den vergangenen 2 Jahren an solchen Firmengründungen beteiligt waren, sind 447 Russen. Andere häufig genannte Herkunftsstaaten sind Litauen (323 mal) und Weißrussland (160mal). Kann man also daraus schließen, dass vielen Investitionen kleine Investitionssummen gegenüberstehen? Wie der Fall "GasInvest" zeigt, gelten die SIA's oft auch als Basis für weitere Operationen.
Was mir persönlich bei allen Statistiken in Bezug auf Russlands angeblichen oder tatsächlichen Einfluß fehlt ist eine Gegenüberstellung mit vergleichbaren Aktivitäten anderer internationaler Konzerne. Denn schließlich gilt "Geschäft ist Geschäft", und finanzielle Abhängigkeit oder Unabhängigkeit berechnet sich nicht nach dem Maßstab gefühlter Aversionen.

* = russische Namen werden hier in lettischer Schreibweise wiedergegeben

Deutsche Sprache, schwere Sprache ...

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Neustart nötig?
Die Pflege der deutschen Sprache verlange in Lettland nach einem "Re-Start" - so eine lettische Initiativgruppe, die kürzlich in der Rigaer Zentralbibliothek eine Veranstaltungsreihe eröffnete, die bis zum Ende des Jahres Begegnungen mit Lettinnen und Letten ermöglichen soll, die von erfolgreich angewendeten Deutschkenntnissen erzählen. Tālivaldis Kronbergs, einer der Initiatoren, Gründer und Leiter des Portals "StudentNet", arbeitete zunächst daran, ein Netzwerk gemeinsamer Träger dieser Veranstaltungsreihe zu knüpfen. Ihre Beiträge leisten nun das Goethe-Institut, das Mencendorff-Haus, der Verband der Deutschen in Lettland, die Deutsche Botschaft in Riga, das Institut für Auslandsbeziehungen (IFA), der Verband der Deutschlehrer Lettlands und die Zentralbibliothek der Stadt Riga. Auch die Verlage "Zvaigzne ABC", "Zinātne", "Atēna" und "Nordik/Tapals" haben ihre Unterstützung zugesagt.

Deutsch - so wie es Mitte der 1990er Jahre an der
Baustelle der Deutschen Botschaft in Riga vermittelt wurde

Wie ist die Ausganglage? Wer als Deutscher die Lage in Lettland seit Wieder-erlangung der Unabhängigkeit länger beobachtet hat, vielleicht auch etwas Lettisch lesen und sprechen kann, um die Diskussionen in Lettland besser nachvollziehen zu können, der wird schon sehr verschiedene Einschätzungen und Beurteilungen zur Lage der deutschen Sprache gehört haben. "Das waren doch früher deutsche Gebiete, da wird sich die deutsche Sprache schon wieder durchsetzen" - eine derartige Äußerung begegnete mir selbst Anfang der 90er Jahre. Fast gleichzeitig gab es Nachkommen von Deutschbalten, die in Lettland offenbar "deutsches Erbe" zu inspizieren geruhten und dabei Äußerungen taten von der Art, die Letten hätten das vormals sorgsam geordnete deutsche Kulturgut nur wenig pfleglich behandelt. Oder es gab deutsche Banker, die eine Diskussion über Lettland mit Zahlen zum lettischen Handelsvolumen und einem Vergleich mit dem Umsatz an den deutschen Börsen einleiteten, und gleichzeitig immer die Funktion "Brücke nach Russland" betonten, statt sich mal näher um lettische Bedürfnisse und Ängste zu kümmern. Aus deutscher Sicht ist eben manchmal scheinbar vieles in Geld aufzuwiegen.

Deutsch-Lettisch außer Mode?
Und natürlich gab es lange Zeit fast keinen Austausch zwischen Letten und Deutschen - gerade die deutsche Seite zögerte den Beginn visafreien Reisens, der eigentlich 1996 schon spruchreif gewesen war, bis 1999 heraus. In dieser Zeit wurde der deutsche Reisemarkt fast ausschließlich von "Heimatreisenden" dominiert, die ihre Reiseziele bitteschön nur mit den alten deutschsprachigen Bezeichnungen benannt haben wollten (wer kennt "Hasenpoth"?) Der freie Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt wurde dem neuen EU-Mitglied Lettland bis Mai 2011 verschlossen - für Deutschland ein selbstverständliches Recht, für Lettland aber die Ursache, dass Arbeitssuchende auf dem internationalen Markt sich eher englischsprachig orientierten (und in englischsprachigen Ländern wiederum eigene Vereinigungen der dort lebenden Menschen gründeten, die ihre Erfahrungen viel intensiver nach Lettland zurückspiegeln).

Auf dem Reisemarkt wurde der erste positive Trend im Jahr 2004 ausgelöst, verursacht teilweise durch geballte deutsche Medien-Berichterstattung zum EU-Beitritt Lettlands, teilweise auch von guten Verkehrsverbindungen vor allem per Schiff. Eine erste Phase, um in Lettland den deutschen Markt ernst zu nehmen, und deutsche Sprachkenntnisse dann auch zu Hause angewandt werden können. In dieser Phase konnte man vielerorts in Deutschland hören: Riga? Lettland? Ja, davon habe ich schon gehört, da will ich irgendwann auch mal hin! Leider hielt der Trend nicht immer an: Billigflieger verleiten zwar zum kurzen Ausprobieren eines Reiseziels, nicht aber zum näheren Kennenlernen - und Städte mit Billigflughafen werden gegenüber den anderen Landesteilen wohl eindeutig bevorteilt. Dazu kam die Wirtschaftskrise - heute stehen einige, in Katalogen und auf Landkarten schon verzeichneten Hotels leer und verbarrikadiert in der Landschaft. Und auf lettischer Seite hat sich abseits des lettischen Fatalismus noch immer kein Gefühl für eine Stammkundschaft entwickelt: wer spontan für die Dienstleistung noch ein paar Lat mehr fordern kann als eigentlich angesagt, der tut es wohl - und glaubt sowieso nicht das Gäste auch wiederkommen. Außerdem herrscht der weitverbreitete Glaube vor, auch die deutschen Gäste mit Englisch ausreichend bewirten zu können (sicher, zum Geld einnehmen reicht es!).

Initiativen, Projekte: wer hilft?
Einer der Initiatoren
der Veranstaltungs-
reihe zur Rolle der
Deutschen Sprache
in Lettland:
Tālivaldis Kronbergs
Schließlich noch die fehlenden Netzwerke. Soll man es begrüßen oder beklagen, dass man schon ein ziemlich eigensinniger, wundersamer Kauz sein muss, um sich über längere Zeit schwerpunktmäßig mit Lettland zu beschäftigen? Karriereabsichten - wenn es nicht gerade "schnelles Geld verdienen" ist - können es kaum sein. Ernstzunehmende deutschsprachige Medien zu Lettland oder den baltischen Staaten gibt es keine (keine, die über ihre speziellen Zielgruppen hinausgehen). Finanzielle Förderungen für deutsch-lettische Projekte sind einerseits schwer zu finden, andererseits immer nur auf die Dauer von maximal ein bis zwei Jahren ausgelegt. Wohl gibt es fachliche Kooperationen, aber kaum offene Netzwerke, die interdisziplinär für Menschen aller beruflichen und privaten Ebenen ausgelegt sind - oft muss man die Eindruck haben, wer irgendwo das Wort ergreift oder publiziert wird, muss schon besser einen Doktortitel vorweisen (nichts gegen Akademiker - aber oft gilt es dann gleichzeitig als Grund für die Kurzfristigkeit des Interesses der vielbeschäftigten Wissenschaftler mit bekannterem Namen). Schon seit seiner Gründung orientierte sich das Goethe-Institut in Riga eher auf die deutsche Hochkultur als auf Projekte zwischen den Menschen aus beiden Ländern. Etwas mehr als 3.000 Deutsche leben in Lettland - und gelten, wie es kürzlich eine Sendereihe des WDR ziemlich realistisch wiederspiegelte, eher als "wundersame Eigenbrödler" denn als konstruktive deutsch-lettische Aktivisten. Und dann noch der Ansatz des Deutsch-Lettischen Partnerschaftsforums in Selm aus dem Jahr 2009, deren Teilnehmer/innen gegenüber deutschen Behörden in Lettland einen vermehrten Einsatz zu Gunsten der Deutschen Sprache forderten, aber erst nach längeren Nachdenken auch eine gleiche Wertigkeit des Lettisch-Lernens für Deutsche hinzufügen mochten.

DELFI-Bericht übers Treffen der
Deutschsprachigen
Wird also das Interesse für Deutschland und die deutsche Sprache in Lettland wieder aufblühen? Interessant zu beobachten, dass schon ein einzelner Bericht über die oben erwähnte Veranstaltung im Portal DELFI eine ziemliche Diskussion auslöste. Eine durchaus "bunte" Besucherschar habe sich da in der Rigaer Stadtbibliothek versammelt, konstatiert die Reporterin. Und weiter: Ein deutsches Lied zur Einstimmung - von einem wunderschönen Tag der niemals enden möge, werden als Einstimmung von "einer Dame mit weißer Bluse am dunkelbraunen Klavier 'Riga' und Sängerinnen in Tracht und Spitzensöckchen" dargeboten. Die Motivation der Anwesenden, sich mit Deutschland und deutscher Sprache zu beschäftigen, seien ziemlich unterschiedlich gewesen: einige die wohl gern nach Deutschland auswandern wollten, andere als Historiker mit deutscher Sprache befasst, und wieder andere, die zusammen mit der starken deutschen Anti-Atombewegung solidarische Aktionen gemeinsam planen. "Keine Angst, die Veranstaltung findet in lettischer Sprache statt!" habe Moderator Kronbergs die Anwesenden beruhigt, berichtet DELFI weiter. Während die Vereinigung der Deutschen in Lettland kostenlose Hilfe beim Deutschlernen anbietet, zweifeln andere an Aussagen nur die englische Sprache öffne in der globalisierten Welt alle Türen. Die Stadtbibliothek bietet ihrerseits ihr Sortment an deutschsprachigem Lesestoff an.

Reaktionen und Einschätzungen
Durchaus ungewöhnlich aber, dass allein auf diesen einen Bericht bei DELFI über 200 Leserreaktionen eingehen. Abseits einzelner Meinungen ist hier vielleicht interessant zu erwähnen, was dort viel diskutiert wird, und was gar nicht. Stark vertreten sind zum Bespiel Äußerungen, die in irgendeiner Weise lettische Geschichte thematisieren, und zwar meist in Bezug auf frühere Phasen russischer oder deutscher Vorherrschaft in Lettland ("700 gadu zem vācu jūga bijām.."). Als ob Lettland nicht seit über 20 Jahren unabhängig wäre: für viele steht die Hinwendung zu einer bestimmten Sprache also im Zusammenhang damit, welchen "Einflußbereich" man gestärkt sehen möchte. Manche sehen die deutsche Sprache "in der Sowjetzeit unberechtigterweise zurückgedrängt", andere haben sogar noch die Schimpfworte aus der Zeit der "junglettischen Bewegung" (aus der Zeit vor Erlangung der Unabhängigkeit 1918) parat und meinen eher zynisch, in letzter Zeit habe sich die Zahl der "Kārklu vācieši" auch wieder stark vermehrt (Schimpfwort für Letten, die eine Annäherung an Deutschland befürworteten, oder sogar zu Deutschen werden wollten). Andere Stimmen meinen betonen zu müssen, Deutsche hätten schließlich den Letten die Bibel übersetzt und das Chorsingen beigebracht - "die Engländer dagegen nichts!".
Andere betonen eher ihre Schwierigkeiten mit allzu langen deutschen Worten: "Höchstgeschwindigkeitsbegrenzung, Hubschrauberlandeplatz - das kann doch keiner aussprechen!" Zustimmend reagieren diejenigen, die sowieso meinen, Deutsch könne in Lettland eher mit Russisch als zweiter Fremdsprache, nicht aber mit Englisch als erster konkurrieren. Auf die zunehmenden Anglizismen zielen wohl solche Äußerungen ab: "Selbst die Deutschen sprechen zunehmend Englisch!"  - Und was von Deutschen mitveranstaltete Konferenzen und Seminare in Lettland angeht, wird man eingestehen müssen, dass auch diese - wenn nicht in Lettisch - dann meist in Englisch veranstaltet werden, und sogar deutschsprachige Dokumentationen dazu fehlen: in Deutschland wird so niemand der unbeteiligt war diese Diskussionen in Lettland nachvollziehen können.

Etwas peinlich berührt könnten Deutsche vielleicht regieren, wenn sie all die Letten sehen würden, die ihr Deutsch von den billigen Fernsehserien lernen, die in Lettland lediglich eingesprochen oder mit lettischen Untertiteln gesendet werden (und dann alle angeblich "deutschen" Kanäle aufzählen, aber ARD und ZDF nicht kennen ...). Mir persönlich fehlt bei der ganzen Diskussion ein wenig mehr lettisches Selbstbewußtsein: ja, will denn gar keine ein wenig mehr Kenntnis über lettische Kultur, Mentalität, Geschichte und Politik in die übrige Welt tragen helfen? Aus dem Lettischen in anderen Sprachem kommunizieren können? Es müssen ja nicht gleich alle Übersetzer/innen werden (so viel Sprachtalent hat nicht jeder). Aber es gibt so etwas wie "sich selbst erfüllende Prophezeihungen" - wer für sich selbst nur die Rolle des dienenden, sich anderen unterordnenden, oder irgendwo zur Assimilation vorgesehen Menschen sieht - es könnte sich verwirklichen. Warum können etwas mehr Deutschkenntnisse nicht dazu beitragen, Deutsche und Deutschland zunächst mal etwas besser zu verstehen (und nicht immer nur von Schröder, Merkel und Putin daherzuschwadronieren - alle drei negativ natürlich ...)? Die 200 Wortmeldungen bei DELFI jedenfalls zeigen die Einseitigkeit der Thematik: die Nützlichkeit von Sprachkenntissen generell wird von niemandem bestritten. Viele legen sich aber offenbar, bevor sie damit anfangen, ein fest gezurrtes Weltbild zurecht, das nur noch wenige positive Überraschungen zuläßt. Wird Zusammenarbeit und Austausch zwischen Menschen heute nur noch virtuell gesehen? Lieber 500 Facebook-Freunde in Deutschland, die meine englischen Bruchstücke verstehen, als reale Kommunikation unter Freunden? Schade. Oder liegt der Sinn von "Freunden in Deutschland" allein darin, Letten günstige Gebrauchtwagen (in den 90er Jahren Wunsch Nummer 1) oder Arbeitsplätze in Deutschland (auf Kosten eigener Arbeitslosigkeit?) zu beschaffen? - Aber vielleicht bleibt es ja der gerade begonnen Veranstaltungsreihe vorbehalten, daran ein wenig zu ändern.

Trojas Pferde aus Lettland

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Gar kein Geheimnis, im Gegensatz zum historischen Vorbild, macht der Hersteller der "Trojanischen Pferde" aus Lettland um seine Produkte. Als aus vormals staatlichen Strukturen die GmbH "SIA Troja" gegründet wurde, ahnte zunächst niemand, dass ein kleines Holzschaukelpferdchen zu einem der beständigsten Produkte im In- und Ausland werden könnte - das erste Produkt dieser Serie wurden bereits 1972 hergestellt.
Im Jahr 2011 wiesen die "Trojaner" bereits einen Jahresumsatz von 11.9 Millionen Lat (ca. 17 Mill. Euro) auf.Produkte aus Sperrholz - nicht nur Spielsachen, sondern unter dem Markennamen KAYIA stellte die Firma auf der "Boot 2012" in Düsseldorf seine "Skimboards" vor - neben der Chance, auf deren gute Einsetzbarkeit an den langen lettischen Ostseestränden hinzuweisen wurden auch eigene Werbefilmchen hergestellt, um "Skimboards" auch in Lettland erstmal dem potentiell interessierten Publikum vorzustellen.
Also mehr als nur süße Schaukelpferdchen. Natürlich sind auch Tische, Stühle, Regale und Dokumentenschränke im Angebot der Firma.Eine halbe Million Lat habe der lettische Konzern "Latvijas Finieris", selbst seit 1992 "re-privatisiert",  in "Troja" investiert - vielleicht kommt also daher die Idee für den Namen? Unter anderem wurden so neue, computergesteuerte Fertigungsanlagen gebaut, mit weitaus mehr Möglichkeiten verschiedene Produkte anzubieten als das in den 90er Jahren der Fall war, als die einzige Alternative zum traditionellen Schaukelpferd eine "Schaukelgiraffe" angeboten wurde.

Die Firmenleitung weiss auch von Kontakten und Projekten mit der Autoindustrie in Deutschland zu berichten - allerdings sei das Geschäft hier stark von der 2009 einsetzende Krise betroffen gewesen. Und wer Lettland besucht, dem werden die Troja-Produkte sogar sehr häufig begegnen: die Firma stellt auch Verkehrszeichen her, aus besonders haltbar gemachtem lettischen Birkenholz produziert (ausgeliefert mit 5 Jahren Garantie). Aber der überwiegende Teil der Firmenproduktion geht in den Export - und sorgt so für eine etwas bessere lettischen Handelsbilanz. Neben Deutschland sind auch Italien und Schweden inzwischen unsere Hauptkunden unter den insgesamt 31 Ländern in die wir exportieren, erzählt Troja-Vorstandsmitglied Jānis Biķis der Zeitschrift "IR". "2007 hatten wir noch 155 Angestellte", erzählt er, "heute haben wir bei gesteigerter Arbeitseffektivität noch 100, die im Vergleich zu damals das Doppelte leisten."

Konkurrenzfähigkeit auf einem wachsenden Weltmarkt sei heute das Stichwort. "Anfang der 90er Jahre kostet ein Schaukelpferdchen noch 2 Dollar, heute 9 Lat. Aber dennoch können wir mit China nicht mithalten," meint Biķis. Ehemals als erstes Tochterunternehmen von "Latvijas Finieris" gegründet, sind die Firmenanteile heute Besitz von 15 Einzelpersonen. Die Firma trägt großen Anteil daran, dass Lettland inzwischen zum drittgrößten Produzenten von Sperrholz aus Birke geworden ist - hinter Russland und Finnland.

In Schönheit bankrott gehen

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Vor fünf Jahren haben wir sie auch in diesem Blog schon mal als erstaunlich erfolgreiche lettische Geschäftsfrau vorgestellt - Ieva Plaude. Heute muss man sich fragen: wie konnte es einen so steilen Absturz geben? Ihr über 20 Jahre aufgebautes Schönheitsartikel-Imperium "Kolonna" ist inzwischen zahlungsunfähig, die von einigen Investoren dort eingesetzten Millionen Euro sind offenbar unwiderruflich verloren. Ob die bisherigen Anteilseigner noch etwas im Ausland "geparkt" haben ist gegenwärtig lediglich Gegenstand von Gerüchten.

Eine ironischeFotomontage der
Zeitschrift "IR" (Lauris Vīksne, F64):
Geschäftsfrau Ieva Plaude als Bettlerin
Die Journalistin Indra Sprance kritisiert in der Zeitschrift "IR" auch die Mechanismen des lettischen Systems mit zahlungsunfähigen Firmen umzugehen. Im Laufe von drei Jahren hätten sich in Lettland insgesamt 5260 Firmen für zahlungsunfähig erklärt, was einem Gesamtwert von 3,3 Milliarden Lat entspricht - in etwa genauso hoch wie die gesamten Staatsausgaben eines Jahres. Sprance hält Verbesserungen bei der juristischen Aufarbeitung solcher Fälle für notwendig und sieht gerade im Fall "Kolonna" ein Beispiel für die Unzulänglichkeiten der Justiz. "Das Aussehen der Kunden in den Kolonna-Schönheitssalons kann so stark verändert werden dass sie nicht wiederzuerkennen sind", so Sprance, "und ähnlich wurde es auch mit dem Kolonna-Konzern gemacht."
2009 bestand die "Kolonna Holding" noch aus 25 Einzelunternehmen, deren Umsatz insgesamt 105 Millionen Euro erreichte. Seitdem aber änderten sich sowohl Anteilseigner wie auch der Konzernname.

Alles Laute würde hier nicht passen ...
2008 rangierte Ieva Plaude in der Liste der reichsten Frauen Lettlands unumstritten als mehrfache Millionärin, der Wert ihres Unternehmens wurde auf 18 Millionen Lat (ca. 27 Mill. Euro) geschätzt (Baltic Screen / TVNet). Zitat aus einer Broschüre der Deutsch-Baltischen Handelskammer, publiziert 2009: "In der Rigaer Altstadt, fast ein wenig versteckt im fünften Stock des Galerija Centrs, ist das Wohlfühl-Reich von Ieva Plaude. Ihr direkt nach der Unabhängigkeit Lettlands im Jahr 1991 gegründetes Kolonna SPA ist das größte Day-Spa im Baltikum. Die Mitarbeiterinnen sind freundlich und dezent. Man spricht hier nur verhalten, alles Laute würde nicht passen." Und einige Zeilen später: "Bei Kolonna merkt man nichts von der Krise. Es gab noch nicht einmal Grund, die Preise nach unten zu korrigieren, um mehr Kunden anzulocken. Diejenigen, die die Wohlfühl-Behandlung in den Boomjahren schätzen gelernt haben, bleiben Ieva Plaude auch in diesen Zeiten treu. Plaudes eigener Lebensweg war früher eher von der Kultur geprägt, von Oper, Theater und Gegenwartskunst. In dieser Eigenschaft kam sie bereits Ende der 80er Jahre mehrfach nach Deutschland. Dort entdeckte sie ihre Liebe zum Schönheitsbusiness." ( (die Preisentwicklung stellt ein Beitrag in DIE ZEIT etwas später ganz anders dar und beschrieb sogar Lohnkürzungen für Mitarbeiter von bis zu 40%!).

Ein anderes Zitat stammt von Jānis Lasmanis, Immobilienkaufmann und damals Co-Eigentümer von Kolonna, mit dem Ieva Plaude zu diesem Zeitpunkt noch verheiratet war: "In den verrückten 90ern reichte es aus, irgendwie einen Haufen Kühlschränke zu kaufen, und diese einen Monat später für das zwei- oder Dreifache zu verkaufen." (Dienas Bizness) Dieses Zitat stammt ebenfalls aus dem Jahr 2008, als unter dem Markennamen "Kolonna" längst auch ein Immobilienkonzern geworden war. "Kolonna entwickelt die Projekte, ein Bauunternehmen baut, und ein anderes Tochterunternehmen bewirtschaftet die Häuser", so erläuterte es Lasmanis und spottete gleichzeitig über "Tierärzte, Schuster und Frisöre" die sich mit zwei. drei Häusern im Immobilienbusiness meinten engagieren zu müssen.

Erst Geld machen, dann Politik?
Unter den drei reichsten Letten befanden sich damals - neben dem Eigentümer der damaligen Vorzeige-Bank PAREX - auch die beiden Politiker Andris Šķēle und Ainārs Šlesers, beide ebenfalls vom Typ "Kühlschrank-Verkäufer". Plaude trat mit beiden gemeinsam für die Partei "Par labu Latviju"(PLL) an, die allerdings bei den Wahlen krachend durchfiel. Im Wahlkampf 2010 fiel Unternehmerin Plaude u.a. mit der These auf, ihrer Meinung könne der Durchschnittslohn in Lettland im Jahr 2020 bereits 3000 Lat betragen (Dienas Bizness). Lettland malte sie sich für die Zukunft als "Land in dem drei Sprachen gesprochen werden" aus: Lettisch, Russisch, Englisch (Kas jauns). Journalistin Indra Sprance erinnert sich heute, Plaude habe damals energisch eine These der "IR" bestritten, dass der Einstieg in die Politik mit Problemen im Business zu tun haben könnte. Aber schon kurz nach der Wahlniederlage macht sie dann genau dieses: sie erklärt ihr Unternehmen für nicht mehr zahlungsfähig.

Politik als letzter Ausweg aus maßloser Geschäftemacherei? Den scheinbar heilbringenden Investoren und "Businesmeni" wurden in Lettland jahrelang von der Politik jedes mögliche Hindernis in vorauseilender Sorgfalt weggeräumt - da könnte man auf den Gedanken kommen, es könnte auch der umgekehrte Weg funktionieren. Die damals noch existierende PAREX-Bank hielt 3,6 Millionen Euro an Finanzmitteln zurück Plaudes persönliche Schulden hatten sich auf 7 Millionen Lat, zusammen mit diversen Kolonna-Unternehmen gewährten Bürgschaften sogar 25 Millionen. Zum selben Zeitraum wurde ihr Vörmögen auf einen Wert von 10 Millionen Lat geschätzt. Unvorstellbar? Man kennt es von verschiedenen Wirtschaftsskandalen auch in Deutschland: wer darauf setzt, dass sich keiner einen so großen Flop verstellen kann, dem lassen oft gerade diejenigen viel Spielraum, die eigentlich von Amts wegen kontrollieren müssten.

Schulden und deren Nicht-Eintreibung
Kolonna-Werbung: Spezialisten für's
Frisieren und Verschönern
Doch Ende 2010 hob das Höchste Gericht Lettlands den Beschluß zur Bestätigung der Zahlungsunfähigkeit zunächst wieder auf. Die PAREX-Bank hatte darauf verwiesen dass eine Reihe von Aktivitäten unternommen worden seien um vor geschäftlichen Verpflichtungen auszuweichen. Doch im November 2011 dann die entgültige Anerkennung der Zahlungsunfähigkeit der "DK Holding" (früher "Kolonna Holding"), ein Verfahren, den abzuschließen auf eine Dauer von fünf Jahren veranschlagt wurde. Sichtbar wurde ein trauriger Zustand: riesige Schulden und kaum Aktiva, mit denen die Schuldner bedient werden könnten. In diesem Zusammenhang geriet dann auch die Bank selbst in Schwierigkeiten. Aber vor allem blieb eine Frage - so die Zusammenfassung des Falls durch Indra Sprance - wieso kann es sein, dass dieser ganze Prozeß der Abwicklung von Zahlungsunfähigkeit Leuten in die Hände gegeben werden kann, die selbst in unübersehbarem Zusammenhang mit dem Unternehmen "Kolonna" stehen?

Kurz bevor sich "DK Holding" für insolvent erklärte, änderte das Unternehmen noch schnell die Adresse: plötzlich wurde eine Adresse in Kuldiga als Firmensitz angegeben. Dadurch war dann auch das Bezirksgericht Kuldiga zuständig für die Abwicklung, und auf diesem Wege wurden Richterin Daina Alksne und Insolvenzverwaltein Maija Andersone zuständig für den Fall. Das persönliche Verhältnis dieser beiden Damen zueinander wiederum scheint klar: drei Jahre lang arbeiteten sie in Kuldiga zuvor in einer gemeinsamen Anwaltspraxis. Andersone mietete ihrerseits Räume von einem gewissen Zigmārs Stoļarovs an, der bis zu einem Prozeß wegen unerlaubter Vorteilsnahme selbst Insolvenzverwalter war. Wiederum fragte Journalistin Sprance weiter und fand heraus, dass immer noch eine Vereinbarung zwischen Andersone und Stolarovs existiert die Stolarovs erlaubt seine Kollegin zu vertreten - und so geschah es auch im Fall "Kolonna".

Warum ist die Einbeziehung von Stolarovs so heikel? 2007 war Stolarovs noch Vorstandsmitglied der Firma REHO, die für den Betrieb der beiden Hotels "Konventa Seta" und "Hotel de Rome" zuständig war. REHO war beteiligt "Riga Hotel GmbH&Co Betriebs KG", an der bis dahin auch der Bremer Bauunternehmer Dr. Klaus Hübotter Anteile hielt. Ebenfalls Mitglieder des Vorstands waren Jānis Lasmanis, damals mit Ieva Plaude verheiratet, und ihr jetziger Gatte, der Deutsche Gerd Röhlinger (lett. Gerds Rēlingers, Chef des bayrischen Kosmetikproduzenten "Langguth"). Neureiche Unternehmerin in Lettland zu sein - es scheint hier manchmal zuzugehen wie in den Königshäusern des Mittelalters; Unterschied: es wird nach belieben geheiratet und geschieden, je nachdem was gerade den eigenen Geldbeutel rettet. Stolarvovs jedenfalls, heute als Insolvenzverwalter aktiv, war immer eng dabei.

Heisse Drähte zum Stadtrat
Streitobjekt  im Visier von Anlagestrategien
und Beteiligungsgesellschaften: das ehemals
traditionsreiche Hotel de Rome firmiert inzwischen
unter anderem Namen
Auch die Geschäfte der Baufirma REHO sind in diesem Zusammenhang interessant. 2009 verkauften die Zuständigen beim Stadtrat Riga die bis dahin städtischen Anteile an der REHO GmbH, die "Hotel de Rome" und "Konventa Sēta" betrieb - zwei gerade bei deutschen Gästen sehr beliebte Hotels mitten in der Altstadt. Nach den Stadtratswahlen 2009 übernahm das Duett Nils Ušakovs mit seinem Vize Ainārs Šlesers das politische Ruder in Riga. Vertraglich ließ sich der Stadtrat diese Kapitalanteile als Kreditsicherheit im Wert von 1,03 Millionen Lat festschreiben - erhielt also kein Geld für den Verkauf der Anteile, es blieb nur das Recht die Anteile zurückzubekommen falls diese Summe nicht im Laufe von 10 Jahren aufgebracht würde. Bisher ist offenbar unklar, ob je auch nur ein Centimes oder EuroCent dem Stadtrat zu Gute kam - bekannt ist nur, dass die Vereinbarung mit "Kirk Investment" erneuert wurde, die seit Februar 2011 die Bewirtschaftungsrechte der beiden Hotels übernahmen. Eigentümer bei "Kirk" ist ein auf der "Isle of Man" registrierte Firma "Ambiente International Limited", aber auch die beiden Ex-Kolonna-Angestellten Ineta Bojāre und Uldis Cipsts, sowie eine Angestellte des Rigaer Stadtrats, Ilze Saulīte-Jansone. Letztere leitet das städtische Unternehmen "Rigas nami", wurde 2009 zur Vorstandsvorsitzenden der Kolonna-Holding und pflegte enge Kontakte sowohl zum Bürgermeister-Vize Šlesers (bekannt ist eine Parteispende in Höhe von 9990 Lat an dessen Partei) wie auch zu den Sozialdemokraten im Stadtrat. Klar dürfte also sein, dass die Eigentümer von "Kirk Investment" die Aktivitäten bei "Kolonna" beherrschen - interessant aber, dass die Journalisten der "IR" am angeblichen "Kirk"-Firmensitz in Riga niemanden antrafen bis auf einen Hausmeister, der meinte die Räume seien schon seit längerem verlassen.

Angeblich arm - und trotzdem immer weiter?
Noch im September 2012 in der Rubrik "News"
auf der Langguth-Webseite" zu finden:
Kolonna-Deal als Beispiel erfolgreicher
Unternehmertätigkeit
Unternehmerin Ieva Plaude ist also angeblich pleite. Wem aber gehören dann die 25 Schönheitssalons in ganz Lettland mit etwa 500 Angestellten? Das fragt sich momentan die lettische Öffentlichkeit. Auch in der deutschen Presse tauchen zum Ex-Vorzeige-Unternehmerpaar Röhlinger-Plaude inzwischen immer mehr kritische Berichte auf. Während Röhlinger in Riga gern fröhlich Oktoberfeste inszeniert, blickt das Magazin "Inside B" auf den Einstieg von Ieva Plaude beim Baden-Badener Kosmetikhersteller "Fribad" zurück: "Plaude schönte Umsatzzahlen, statt 60 Millionen Euro setzte Fribad 2007 nur rund 36 Millionen Euro um. Die Lage spitzte sich zu, als die Lettin den Chef des bayerischen Kosmetikproduzenten Langguth, Jürgen Röhlinger, heiratete und der plötzlich als Mitgesellschafter und Retter von Fribad auftrat. Doch aus der angestrebten Restrukturierung wurde nichts. Im Frühjahr 2009 meldete der Kosmetikhersteller beim zuständigen Amtsgericht Insolvenz an, während die Mitarbeiter weiter auf ihre Löhne warteten. Gegen Plaude und Röhlinger läuft mittlerweile ein Ermittlungsverfahren wegen unzulässiger Geldabflüsse, der Verdacht einer Insolvenzverschleppung steht im Raum. 70 Jahre nach seiner Gründung fand das Kapitel Fribad ein unrühmliches Ende."

Im Unternehmermagazin ECONO ist die Atmosphäre beschrieben, mit der die deutsch-lettische Geschäftsverbindung versuchte sich als "Macher" zu inszenieren: "Ein Unternehmen ohne Probleme ist wie das Christentum ohne Hölle!" soll Plaude lächelnd gesagt haben. Als "pikantes Detail" der Vorgänge um den "Fribad"-Verkauf bezeichnet es das Magazin, dass Röhlinger zunächst Fribad-Anteile aufkauft um dann, als die Fribad-Mitarbeiter sich Sorgen um die kurz bevor stehende Insolvenz und evtl. Arbeitslosigkeit machen, in die USA fliegt um dort Plaude zu heiraten. Danach trat Röhlinger selbst gegenüber dem Fribad-Insolvenzverwalter als Eigentümer auf, Hauptgläubiger war die lettische PAREX-Bank (deren Schicksal ja inzwischen bekannt sein dürfte).

Wieder heiratsfähig? 
Also: vielleicht hilfte eine erneute Heirat auch 2012 zu neuen Ufern? Jedoch werden sich potentielle zukünftige Geschäftspartner vielleicht vor den Namen sowohl von Plaude wie von Röhlinger eher hüten; das Magazin "Inside B" jedenfalls bescheinigt den beiden, "Fribad" erheblich geschädigt statt gerettet zu haben: "1,9 Millionen Euro sollen an Firmen und Personen aus Plaudes Dunstkreis abgeflossen sein. Darunter befand sich auch ihr Ehemann, der Kosmetikproduzent Jürgen Röhlinger, den sie vor der Insolvenz als Generalbevollmächtigten bei Fribad einsetzte."

Doch es lohnt ein Blick auf das gegenwärtige Insolvenzverfahren bei Ieva Plaude und "DK Holding". Der angeblich einzige größere Schuldner dort heißt angeblich .... "Kirk Investment". Das ist das Resultat mehrerer interner Käufe und Verkäufe innerhalb des mit der Marke "Kolonna" verwobenen Firmengeflechts - ob aber dieser Geschäftszusammenhang so korrekt angegeben ist, dies zu beurteilen sieht sich auch die lettische Insolvenzverwalterin Andersone nicht in der Lage. Bei "IR" ist nachzulesen, dass Plaude inzwischen behauptet, auch in früheren Jahren von der Presse schon zu Unrecht als "Millionärin" bezeichnet worden zu sein: Eigentümer der genannten Holdings sei eine Investorengruppe aus US-Amerikanern, Deutschen und Russen. Auf wiederholte Nachfrage präzisiert sie dann, zumindest bis 2010 selbst Mit-Eigentümerin gewesen zu sein - und nennt auch Namen von angeblichen Eigentümern. Die Wechsel der lettischen Geschäftsadresse sei vorgenommen worden, um die Zahlungsunfähigkeit zunächst der Öffentlichkeit vorzuenthalten damit die Firmenanteile zu einem maximal möglichen Preis hätten verkauft werden können.
Diesen Angaben stehen allerdings die Recherchen von "IR" entgegen, die Plaude als eng verflochten mit "Kirk Limited" ausweisen: die Eigentumsdokumente weisen mal den Namen Ieva Plaude, mal die beiden "angeheirateten" Namen, aber sogar Ieva Gaile - ihren Geburtsnamen - auf, als Adresse verschiedener Personen eine ihr gehörende Wohnung in Riga.

Da mag man vielleicht ausrufen: und das alles innerhalb der Europäischen Union! Warum sind eigentlich gegenwärtig nur die Währungsspekulationen mit dem Euro in den Schlagzeilen? Eine Geschäftsfrau, die angeblich zu unrecht in der Presse als "Millionärin" "verunglimpft" wird? Ein Unternehmen der Schönheitspflege und des Hotelwesens, das auch heute noch einen angeblich völlig unbeschadeten Ruf hat?  - Wer glaubte, nur in den 1990er Jahren "wilde Geschäfte" in Lettland machen zu können, der wird sich wohl angesichts solcher wirtschaftskrimineller Auswüchse nur wundern.
Geändert hat sich aber seitdem, dass auch lettische Journalisten bei solchen Vorfällen genauer nachfragen. Das Umfeld von Korruption wird nicht umsonst "Sumpf" genannt, denn eine einzelne moralisch integre Unternehmerpersönlichkeit reicht nicht, um die Bilanz (den Schaden) für die Gesellschaft ausgleichen zu können. Die bisher üblichen Verfahren des lettischen Insolvenzurechts zählen offenbar bisher eher zum "Sumpfgebiet".


Infoquellen:
Langguth-Kosmetik
Kolonna "Beauty Group" / Kolonna "Hotels Group"
"Finance-Net" vom 12.3.2009
Magazin "Inside B - Wirtschaft und Leben", Ausgabe August 2010
Beitrag des Magazins "Econo", ins Netz gestellt von Fribad-Insolvenzverwalter Andreas Fischer
Ausführlicher Bericht der lettischen Zeitschrift "IR"
Bericht "Latvijas Avize"




Andris Antiņš hofft auf Euro-Rabatt

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Wenn der lettische Präsident Andris Bērziņš in dieser Woche (am 25.3.) zu einem kurzen Staatsbesuch in Berlin erwartet wird, so könnte die Kürze seiner Gespräche mit Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundestagspräsident Norbert Lammert vielleicht dazu verleiten, nach dem Sinn der kurzen Stippvisite zu fragen. "Man kennt sich schließlich" unter den EU-Mitgliedern, zumindest Merkel und Schäuble sind dieser Tage manchmal mehr in Europa unterwegs als im Bundestag präsent.
Andris Bērziņš kommt, wie zu erwarten ist, mit einem kaum weniger konkreteren Anliegen auf den gläsernen Berg nach Berlin als Antiņš im Schauspiel des Nationaldichters Rainis. Wie es aussieht, hätten die lettischen Staatsspitzen wohl gern etwas taktische Rückendeckung von den Deutschen bei einem offensiven Umgang mit dem Thema eines lettischen Euro-Beitritts.

Nun, meine Herren, wie bringe ich es Angela am besten bei?
Staatschef Bērziņšmit Außenminister Rinkēvičs und
Beratern beim Vorbereitungstreff zum Deutschland-Besuch
"Ich bin nicht wie meine Brüder, ich komme aus gutem Herzen"  - dass könnte Antiņš sagen; was Bērziņš sagen wird wissen wir noch nicht. Aber eine Variante wäre kaum vorstellbar: Lettland will den Euro-Beitritt und keiner nimmt Notiz davon. Lettische Oppositionsparteien haben die Möglichkeit einer Volksabstimmung über den Euro-Beitritt wieder ins Gespräch gebracht - damit wäre europaweites Aufsehen auch garantiert - aber die Regierung Dombrovskis unternimmt gegenwärtig alles, um die politische Ernte besser einfahren zu können als der litauische Nachbar: dort wurde das Spar-Regiment unter Regierungschef Kubilius gerade deutlich abgewählt. Wahrscheinlich ist es dem nachwirkenden Effekt der Parlamentswahlen von 2011 zu verdanken, dass Lettland auch heute nicht laut zur Abwahl der Regierung ruft: 2010 hatte der damalige Präsident Zatlers gleich das ganze Parlament entlassen und neu wählen lassen. Nun hat man doch mit vielfach schmerzlichen Einschnitten gespart und gekürzt - und nun sind laut neuesten Umfragen nur noch 13% der Einwohner Lettlands Befürworter einer Euro-Einführung zum Jahr 2014. Noch auffälliger: 53% der lettischen Unternehmer sind gegen eine Euro-Einführung, 37% sind dafür - WENN ES NICHT schon 2014 geschieht (siehe DELFI). Da steht auch für die politisch Verantwortlichen, eher konservativ gesinnten "Merkelisten" in Lettland einiges auf dem Spiel. Eine weitere Umfrage zeigte außerdem, was die Lettinnen und Letten vor allem erwarten für den Fall einer Euro-Einführung: Preissteigerungen. Lohnsteigerungen dagegen erwarten nur 8% - kein Wunder, wer erleben musste dass die eigene Regierung für den Fall einer Krise das Lohnniveau kurzfristig kurzerhand um 20-25% kappt, der ist gewarnt. Wer nicht mehr auskommt mit dem lettischen Lohnniveau - der wandert aus.

So sieht es Ēriks Ošs, Karikaturist der "Latvijas Avīze":
Hast du nicht am 20.September 2003 schon PRO EURO
abgestimmt? Ja oder nein?
Also: ob nun Merkel wieder das grüne Kostüm vom Griechenland-Besuch aus dem Schrank holt, oder vielleicht Lettisch-Rot auflegt - Bērziņš braucht dringend positive Schlagzeilen. Erst kürzlich waren sowohl Außenminister Westerwelle wie auch Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, zu Arbeitsbesuchen in Lettland. Aber im eigenen Lande entwickeln Aussagen wie "Seht, Deutschland lobt und unterstützt uns" nur begrenzte Strahlkraft (zumal: wer kennt in Lettland Westerwelle oder Polenz?). Und wer die Aussagen der zuständigen lettischen Minister in der lettischen Presse genau liest, der muss feststellen dass dort immerhin ein Punkt angedeutet wird wo Lettland noch verhandeln möchte: wer so vorbildlich spart, dem sollte doch Aufschub möglich sein bei der Beteiligung am Euro-Rettungsschirm. Denn warum sollen Letten dafür bluten, damit in Griechenland ein viel höheres Lohnniveau möglich bleibt? Staatschef Bērziņš wird also vermutlich in Berlin um "Rabatt für Musterschüler" bitten (siehe auch Vorab-Presseerklärung).

Aber Staatschef Dombrovskis weiß offenbar, wo in Deutschland die ganz großen Schlagzeilen produziert werden, und flankierte die anstehende Berlin-Visite des Staatspräsidenten mit einem Interview in der BILD: "Darum wollen wir unbedingt den Euro haben!"
Es ist anzunehmen, dass in Lettland wohl die Leserkommentare der BILD-Online-Ausgabe eher verschwiegen werden: "Na klar, die wollen an unsere Geldtöpfe" und "Dieser fast-pleite Staat fehlt noch auf der EURO Empfängerliste" ist dort zu lesen, oder auch: "Ob wir unser Geld nach Griechenland, Spanien oder nach Lettland schicken, ist doch völlig egal - bei allen Fällen ist es einfach weg."


Volksseele trifft Volksseele (Antiņš trifft seine Brüder?). Wo die einen den Deutschen nicht zutrauen, wirklich lettische Interessen zu unterstützen, halten die anderen die Letten wohl für sowas wie unverdiente Schmarotzer. Für diese platte Erkenntnis hätte es keiner BILD-Schaumschlägerei bedurft. Auch Spiegel Online zieht nach und präsentiert Wirtschaftsminister Pavluts. Soviel lettische Minister waren noch nie (gleichzeitig!) für Deutschland-Werbung im Einsatz!
Aber keine Angst: die staatstragenden Interviews für die großen konservativen Zeitungen wird dann Andris Bērziņš geben, in ähnlichem Grundton vermutlich (wie Dombrovskis auch schon in der WELT). Abends vor dem Rückflug dann schnell noch ein Stündchen "tikšanās ar tautiešiem" (Treffen mit Volksgenossen) in der lettischen Botschaft, wohl um den dort versammelten handverlesenen Arbeitsemigranten erneut zu verdeutlichen dass ihre wahre Heimat Lettland sei. 
Wer den lettischen Funktionsträgern nicht glaubt, wird sich das Zitat von Rainis zu Herzen nehmen (oder übersetzen lassen) müssen: "Ņems, kas atdos, veiks, kas zaudēs, pastāvēs, kas pārvērtīsies."

Deutliches Zeichen: der Winter ist nah!

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Winterreifen-, Mützen- und Handschuhalarm in Riga!
(ein Foto der Webcaman der Nationalbibliothek)
Achtung, Schneetreiben! Heute ist der Tag den sich die Klima-interessierten im Kalender aufschreiben können - Lettlands erste Schneeschicht des Winters 2012 / 2013. 

Sprottiges aus Lettland: Russifizierter Fisch

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Woran liegt es eigentlich, dass lettische Produkte - oder sagen wir mal "Produkte aus Lettland" in Deutschland so schlecht vermarktet sind, gerade im Lebensmittelbereich? Gut, vielleicht kann man nicht verlangen dass es "lettische Abteilungen" in den Supermärkten geben sollte, nicht mal "baltische". Selbst die Ostsee als ganze Region ist ja kein fester Begriff im Warenmarketing. Was den Fischfang angeht, muss auch das EU-Land Lettland inzwischen mit Fangquoten und Marktkonkurrenz leben. Vor zwei Jahren wehrte sich die Arbeitsgemeinschaft der lettischer fischverarbeitenden Betriebe erfolgreich gegen eine Einschränkung der traditionellen lettischen Sprottenräucherung durch EU-Vorschriften (siehe Blogbeitrag vom Oktober 2010).
"Sprottenfantasie" in deutschen Supermärkten:
Alles was Deutsche vermeintlich kennen - außer Lettland.
Eine Fundsache dieses Monats: dreimal Sprotten aus Riga, jedenfalls laut Adressangaben auf der Dose. Drei Dosen mit fast identischer Inhaltsangabe, obwohl so unterschiedlich illustriert, inklusive der Illusion sie hätten vielleicht andere Inhalte oder Rezeptur. Auch die Wareninformation der vertreibenden Firma "Dovgan" (Eigenwerbung: "europaweit größter Großhändler für russische Lebensmittel", mit 40 Mitarbeitern in Hamburg und 20 in Rostock) enthält die Vorstellung, "Memel Sprotten" könnten aus Litauen, "Riga Sprotten" aus Riga und "Baltische Sprotten" von irgendwo her aus der Ostsee kommen.
Markenschutz unvoll-
kommen?


Laut Etikettenangaben ist der Inhalt nahezu identisch: angefangen vom exakt bezeichneten Fanggebiet über die Art des Öls  bis zu den hinzugefügten Gewürzen. Herkunftsadresse: Riga. Die Unterschiede sind minimal: eine der drei Dosen enthält prozentuell marginal mehr Fisch als die zweite, die dritte weist "Nelken" als Beigabe auf.

Der Rest ist wohl Illusion und fehlender Markenschutz - denn "Rigaer Sprotten" werden ja in Lettland ganz anders präsentiert: dort sind fast überall "“Rīgas šprotes eļļā”" (Rigaer Sprotten in Öl") zu finden. Die „Biedrība Rīgas Šprotes“, gebildet aus sieben verschiedenen lettischen Verarbeitungsfirmen, tat sich 1996 zusammen um den kleiner werdenden Markt und der größeren Konkurrenz begegnen zu können. Ob das funktioniert scheint fraglich: die sieben Firmen aus Engure, Mērsrags, Salacgrīva, und jeweils zwei Firmen aus Roja und Rīga berichten von ihren Exporterfolgen jeweils getrennt. "Unda" wirbt mit einer Tradition seit 1931 und dem Umstand, das von 370 Mitarbeitern 60% aus Engure stammen. Mit "Freude und besonderem Stolz" verarbeite man auch Rigaer Sprotten, ein Produkt, dass "wegen seinem einzigartigen Geschmack populär in der ganzen Welt" sei. Ähnlich "Rānda", erst 1994 gegründet, die damit werben vorwiegend in der Region gefischte Produkte zu vertreiben. "IMS" seinerseits betont eine breite Produktpalette, inklusive immerhin ein Sprottenprodukt: "Šprotu pastēte". Auch “Līcis – 93” stellt sich mit seinen zwei Fabrikationsstandorten in Kolka und Ģipka als regionale Traditionen bewahrendes Unternehmen vor, außerdem Eigentümerin einer Fischereiflotte. 
"Gamma-A" allerdings, stationiert im Freihafen Riga, arbeitet auch mit Importfisch aus dem Atlantik und beschäftigt 760 Mitarbeiter. Ähnlich groß ist "Brīvais vilnis", eine Gründung der frühen Sowjetzeit und 1992 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die sich mit seinen 800 Mitarbeitern stolz als "Flaggschiff" der lettischen Fischindustrie bezeichnet und nach eigener Aussage das Markenrecht für "Rigaer Sprotten in Öl" besitzt. Und schließlich "Karavela", die einen Schwerpunkt ganz außerhalb der Sprottenverarbeitung offenbaren -  bei Sardinen, Lachs und Hering. Sieben sehr unterschiedliche Firmenschwestern offenbar - viele unterschiedliche Exportzielländer werden in den verschiedenen Selbstdarstellungen erwähnt - keiner von ihnen behauptet besonders erfolgreich in Deutschland zu sein.

Eine leider etwas irreführende Grafik aus
einem Strategiepapier der lettischen Fisch-
verarbeiter: real gibt es viele Umwege auf dem
Weg zum Weltmarkt
Der Erfolg kommt vielmehr aus dem Osten: "Rigaer Sprotten" wurden auf Messen und Ausstellungen in Moskau mehrfach prämiert. Der Umsatz der 7 Unternehmen mit zusammen 2423 Mitarbeitern belief sich, lettischen Medien zufolge, im Jahr 2011 auf insgesamt 59 Mill. Lat (ca. 85 Mill. Euro). Die Anzahl der trotz scharfer Marktkonkurrenz noch existierenden Firmen der Fischverarbeitung, auch die Zahl der Angestellten zeigt: es lohnt sich das noch besser auszubauen. Aber warum denken die Vermarkter dass es im deutschsprachigen Raum nur unter dem Stichwort "russische Küche / russische Spezialitäten" gehen kann? Als Lettland-Freund fühle ich mich da klar ein wenig betrogen, auch wenn die Motive dafür teilweise verständlich sein mögen. Und Fisch ist da kein Einzelfall.

Der Verband der fischverarbeitenden Industrie (die sich von der erwähnten „Biedrība Rīgas Šprotes“ dadurch unterscheidet, dass hier auch Unternehmen aus Ventspils integriert sind) erarbeitete im Jahr 2008 eine Strategie zur Entwicklung des Industriezweigs bis 2013. Dort war noch davon die Rede, dass Fischprodukte aus Lettland auch "Lettlands Image in der Welt" mit prägen würden. 60% aller in Lettland hergestellten Fischprodukte seien Konserven, 75% davon werden von denen im lettischen Verband der fischverarbeitenden Industrie (Latvijas Zivrūpnieku savienībai) zusammengeschlossenen Betrieben hergestellt, und 70% dieser Konserven seien Sprottenprodukte. 2008 gingen nur 19% der Fischkonserven in EU-Länder, dagegen 74% nach Russland oder andere Länder Osteuropas. Immerhin machen allein Sprotten 28% aller aus Lettland exportierten Lebensmittelprodukte aus (Stand 2008).Auf jeden Fall trägt die Fischverarbeitung zur Sicherung der Entwicklungsperspektiven der lettischen Küstenregionen bei: 70% der Arbeitskräfte in der Fischverarbeitung arbeiten und leben dort.
Denjenigen aber, die entgegen der vorgespiegelten "russischen Küche" die traditionell hergestellten lettischen Sprotten lieber gleich in Lettland kaufen wollen muss gesagt werden, dass weniger als 2% der in Lettland produzierten Fischkonserven im eigenen Land verkauft werden (bei Sprotten etwa 5%) - Idealismus auf dieser Seite wird voraussichtlich wirtschaftlich leider nicht viel bringen.
"Sprotten sind für Lettland ähnlich wie Wein für Frankreich" - so ist es in einem kulinarischen lettischsprachiger Blog zu lesen - ein Zitat angeblich nach Didzis Šmits, dem Präsidenten der lettischen fischverarbeitenden Unternehmen. Ob das lettische Motto "Ražots Latvijā", nach dem sich viele lettische Verbraucher gerne richten, auch im Ausland eine Marke wird, ist weiter offen. Ob "Rigaer Sprotten" konsequenterweise auch "lettische Küche", oder wenigstens zur "Küche Lettlands" gezählt werden können, offenbar auch.

Firmeninfos: DOVGAN / RĪGAS ŠPROTES  / Verband der fischverarbeitenden Industrie   Liste der in Lettland produzierenden Firmen (Ražots Latvijā)

Trotz Krise immer beliebter: Immobilien als Spekulationsobjekte

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Und wo hast Du Deine Häuser
hier in Riga? - das könnte
Gesprächsthema auch dieser
beider Herren sein.

(Straßenszene in Rigas Altstadt)
Seit dem 1.Juli 2010 ist ein Gesetz in Kraft, dass Ausländern Aufenthaltsgenehmigungen bis zu fünf Jahren zusichert, wenn zwischen 25.000 und 100.000 Lat mindestens (je nach Art der Einlage) in Lettland investiert werden. Bei Immobilienbeteiligungen in kleineren lettischen Städten reichen manchmal auch schon 10.000 Lat um in Reichweite dieser Vergünstigungen zu kommen. Der weitaus größte Anteil dieser Gelder, so analysiert Journalist Zigfrīds Dzedulis in der "Latvijas Avīze", fließt aber in die Spekulation mit Immobilien. Seinen Recherchen zufolge sind bisher Gelder mit einer Gesamtsumme von 276.259.488 Lat (rund 400 Millionen Euro) in Verbindung mit gewährten Aufenthaltsgenehmigungen ins Land geflossen. 219.562.230 Lat davon seien in Immobilien investiert worden. Banken, über die bevorzugt Investitionen abgewickelt würden seien die "Rietumu banka", die "ABLV banka", "Norvik", "Baltic International Bank", die "Trasta banka" und die Versicherungsgesellschaft "Baltikums".
Wie der Journalist aber von den zuständigen Behörden erfahren haben will, sind es keinerlei besondere Geschäftsaktivitäten die mit dem in Lettland angelegten Geld unternommen werden: es handelt sich schlicht um Ankauf und Verkauf von Immobilien, manchmal auch um Vermietungen des erworbenen Besitzes. Und aus den Daten des lettischen Unternehmensregisters schließt Dzedulis weiter dass in diesem Zusammengang auch keinerlei neue Arbeitsplätze in Lettland geschaffen werden: Angestellte gibt es in diesen Geschäftszusammenhängen nur wenige.

Im Unterschied zu anderen Schengen-Staaten verlangt Lettland von Investoren die im Gegenzug eine Aufenthaltserlaubnis bekommen nicht, auch ständig im Lande zu leben. Herkunftsländer seien zumeist entweder Russland oder andere osteuropäische Staaten: die Eigentümer kommen für kurze Zeit um nach dem Rechten zu schauen oder für einen Kurzurlaub, dann verschwinden sie wieder. Die "Latvijas Avize" zitiert den Ökonomen Dainis Zelmenis mit den Worten: "Die großen Hoffnungen in das neue Gesetz haben sich nicht erfüllt. Ich kenne keinen Fall, in dem Ausländer um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen ein Unternehmen gründen wo real etwas geschaffen wird." Weder sei sicher, ob über die erwähnten Banken investierten Gelder überhaupt in Lettland bleiben, noch habe der lettische Staat - außer einer Gebühr von 2% der Kaufsummen von Immobilien - irgend einen Nutzen davon.
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