Quantcast
Channel: Lettland
Viewing all articles
Browse latest Browse all 414

Baumaschinen oder Fahrradwege?

$
0
0

Die Kommunalwahlen in Lettland stehen Anfang Juni bevor, und wie immer wird mit besonderem Interesse verfolgt, welches Ergebnis wohl in der lettischen Hauptstadt zu erwarten ist. 

Rote Linien 

Die Berichterstattung der lettischen Presse betont die Abgrenzungen im Wahlkampf: welche Partei möchte mit wem zusammenarbeiten, und mit wem lieber nicht. "Jaunā Vienotība" (JV), die Partei von Ministerpräsidentin Siliņa, nennt zwei durchaus sehr unterschiedliche mögliche Partner für den künftigen Stadtrat von Riga: entweder die "Nationale Vereinigung" (NA), oder die "Progressiven" (Progresīvie). "Wir müssen Riga vor den Kreml-Propagandisten schützen" meint der amtierende Bürgermeister Vilnis Ķirsis (lsm). 

Fast jedem eine eigene Partei

Die gegenwärtig im Stadtrat Riga (60 Sitze) regierende Koalition wird aus ziemlich vielen Einzelgruppierungen gebildet: außer der JV sind das die Gruppe "Kods Rīgai", die Parteien "Gods kalpot Rīgai", "Latvijas attīstībai", und "Latvijas Reģionu apvienība", letztere bildet mit der NA eine Fraktion im Stadtrat. Dazu Einzelpersonen, die vorher mit ihrer Gruppierung "Kustība "Par!" eine Fraktion mit den Progressiven bildeten, nun aber mit der Regierungskoalition stimmen.

Mal eine ganz neue Art von Demo in Riga:
der Bürgermeister zieht mit Parteifreund/innen
durch die Altstadt und preist seine eigenen
vermeintlichen Errungenschaften
Da fällt es sicher vielen Wählerinnen und Wählern nicht leicht, überhaupt nachzuvollziehen, welche Person gerade zu welcher Partei gehört. Vize-Bürgermeisterin Linda Ozola zum Beispiel war bei den Wahlen 2020 Spitzenkandidatin der Neuen Konservativen Partei (tvnet), trat dort 2023 aus (delfi), schloss sich der Fraktion "Kods Rigai" an, und startet nun 2025 aber auf der Liste der "Jauna Vienotība". 

Der Vielversprecher

Aus vielen Parteiprogrammen lassen sich kaum konkrete Ziele für Riga herauslesen. Bei der NA vielleicht eine bevorzugte Bereitstellung von Wohnungen für Familien mit Kindern. Das ist bei Ainārs Šlesers durchaus anders. Früher einmal "Bulldozer" genannt, ist sein momentanes Parteienprojekt zwar nicht sein erstes - mit seiner "Ersten Partei" bestimmte er schon zwischen 2007 und 2011 die politischen Schlagzeilen, 1998 war er Mitgründer der "Neuen Partei", die sich 2001 zunächst in "Neue Christliche Partei" und dann in "Erste Partei" ("Pirma Partija") umbenannte. Sein momentanes Ego-Projekt ist "Lettland zuerst" ("Latvija pirmajā vietā" LPV), wurde 2021 gegründet, stellt wieder einmal seine eigene Person in den Mittelpunkt und trat gleich mal als entschiedene Impfgegner und Verteidiger "wahrer Familien" in Erscheinung. 

Eines habe die genannten Parteien gemeinsam: es ist immer irgendwie von „Šlesers Partei“ die Rede. Geboren als Ainārs Leščinskis nahm der mehrfache Parteiführer 1992 den Nachnamen seiner Frau an (Inese Šlesere, 1991 "Miss Lettland"). Als Geschäftsmann öffnete Šlesers einst norwegischen Firmen den Zugang zum lettischen Markt und wurde dafür sicherlich reichlich entlohnt - heute ist er Millionär, niemand fragt mehr danach wie er sein Geld verdient hat. Er war auch an der Entwicklung verschiedener Einkaufszentren und Hotels in Riga beteiligt. Als Verkehrsminister war er einst in den Korruptionsskandal um "Jūrmalgate" verwickelt (jauns / IR / ), und 2011 beantragte Präsident Valdis Zatlers beim Verfassungsgericht die Auflösung des Parlaments, da dieses sich geweigert hatte die Immunität des Abgeordneten Ainārs Šlesers aufzuheben, gegen den wegen Korruption ermittelt werden sollte. Resultat: Neuwahlen, bei denen der "Oligarchenblock" (Latvijas Pirma Partija / Latvijas Celš LPP/LC) mit 2,42% weit unter der 5%-Grenze blieb - obwohl Šlesers seine Partei schnell noch in "Šlesera Reformu partija" (Šlesers Reform Partei) umbenannt hatte.

Der größte Ärger: die Fahrradwege? 

Das kleinmütige Riga kann kaum je so groß
werden, wie Meister Šlesers selber, scheint
dieser Wahlslogan zu sagen
Aber auch in der - gefühlt - fünfundzwanzigsten Auflage verkündet Šlesers wie gewohnt "Wohltaten". Bei der LPV wird gleich ein ganzes Füllhorn von Versprechungen ausgeschüttet, und für jede und jeden scheint etwas dabei zu sein: "Gedeiht Riga, so gedeiht auch Lettland" (zu übersetzen wohl als "Ökonomie, Ökonomie, Investoren"), für den Bau eines neuen Konzertsaals und eines Museums für moderne Kunst, 200 Euro für alle als Unterstützung für Medikamente, 2000 Euro für jedes neugeborene Kind, und sogar für kostenlosen öffentlichen Nahverkehr in Riga (das war vor einign Jahren nur von den "Progressiven" zu hören). Darüber hinaus auch kostenlose Mittagessen in den Schulen bis zur 9.Klasse, Verringerung der Beamtenzahl um 30%, Steuererleichterungen für Immobilienbesitzer, Sitzbänke für Rentner und Spielplätze für Kinder. Renovierung aller Brücken und, erstaunlich: alle Fahrradwege sollen abgeschafft werden mit dem Argument, diese abgegrenzten Streifen würde ja im Winter sowieso nicht gebraucht. 

Demgegenüber klingen die Sprüche der anderen Parteien fast langweilig: "Sicherheit, Verantwortung, Ordnung" (JV). "Sicherer und menschenfreundlicher Stadtverkehr" (Progressive) Dem entsprechend ist es vielleicht kein Wunder, dass Šlesers mit seiner LPV inzwischen die Umfragen anführt - allerdings mit einer Zustimmung von 8,6% der Befragten auf einem sehr niedrigen Niveau. Auch wenige Wochen vor der Wahl wissen noch 33,1% nicht, was sie wählen sollen, und zusätzliche 14,5% sagen gar nicht teilnehmen zu wollen. (lsm)

Aufsuchende Urnenmobilität

Auf dem Lande herrscht offenbar größere Unsicherheit über die Wahlbeteiligung - bei den vorangegangenen Wahlen sollen sich in einigen Wahlbezirken weniger als 100 Menschen beteiligt haben. Zum ersten Mal wird es "fahrende Wahllokale" geben - es werden Busse mit Wahlurnen eingesetzt, und zwar voraussichtlich in Alūksne, Dobele, Jelgava, Olaine, Smiltene und in Rēzekne. Es werde zu bestimmten Zeiten Haltepunkte an Supermärkten, an Bahnhöfen oder Schulen geben, heißt es. (lsm)


Viewing all articles
Browse latest Browse all 414